Die Mönchsrepublik

 

Irgendwann in meinem Reiseleben habe ich erfahren, dass es da ein „Land“ – nein – eine Republik in Griechenland gibt, die besonderen Status genießt. Eine Republik, die für sich selbst eigene Regeln und Riten proklamiert und nur eine Handvoll ausgewählter Menschen ihr Territorium betreten lässt. Nämlich 100 orthodoxe Christen und 10 andere „ungläubige„ pro Tag. Natürlich nur und ausnahmslos Männer, nicht einmal weibliche Haustiere sind toleriert. Gemeint ist die Republik Athos am gleichnamigen östlichsten Finger der Halbinsel Chalkidiki. Über 2000 Meter hoch ragt der heilige Berg Athos förmlich senkrecht aus dem Meer in den ägäischen Himmel. Nachdem uns unser Weg gen Osten praktisch direkt am Athos vorbeiführt, ist es eine gute Gelegenheit diesen entrückten Flecken Erde zu besuchen. Dass dies nun auch noch genau an meinem Geburtstag ist, mag eine Fügung oder auch ein Wink des Schicksals sein, für mich war es schlicht und ergreifend das einzig verfügbare Kontingent für einen Besuch. Schon die Vorbereitung war umfangreich. Man benötigt für den Besuch ein „Pilgervisum„, das sog. „Diamonitrium“, auch darf man nur ein Mal im jeweiligen Kloster übernachten und muss sich um die Reservierungen selbst kümmern. Die Organisation war schwierig da auf alle Mails, Faxe und Anrufe keine Rückantwort kam. Den Grund  verstehe ich aber erst jetzt, die Herren Mönche beten so ca. 20 bis 21 Stunden am Tag – irgendwann ist man dann ja wohl auch müde, und wer hat dann noch Lust auf Büroarbeit? Irgendwie hat´s dann aber geklappt und so stehe ich bei scheußlichem Wetter an meinem Geburtstag frühmorgens in einer langen Schlange, möglicherweise nach Erkenntnis suchender Menschen, im Pilgerbüro, um mein Visum abzuholen. Das Publikum und die Stimmung wirken auf mich irgendwie dunkel, das Wetter tut sein übriges dazu. Ich höre kein Wort deutsch oder englisch. Es sind ausnahmslos Osteuropäer oder Russen in ihren Jogginganzügen von Puma und Adidas, die ihr Heil oder was auch immer suchen. Überhaupt, das Wort oder die Sprache, scheinen nur geduldet, Schweigen ist verordnet. Und so hallt vom grimmig blickenden Kassier auch sogleich ein Ordnungsruf, als ich versuche nachzufragen, wie denn hier der Hase läuft. Lesen kann ich nämlich nichts, alles ist ausnahmslos in Griechisch angeschrieben, andere Sprachen werden demonstrativ verweigert. Das ist auch der Moment, in dem ich ganz deutlich wahrnehme, mich in dieser ausnahmslosen Männergesellschaft nicht wirklich wohl zu fühlen. Letztendlich bekomme ich mein Diamonitrium, bezahle den Obolus von €30.-, bin fortan nun also Gast der Republik Athos. Die Pilgerfähre verlässt pünktlich den Hafen. Es gibt nur eine Schiffsverbindung in die Mönchsrepublik, der Landweg ist durch 20 km wilde Makkia unpassierbar. Jedes Kloster wird angefahren (es gibt 21), am neunten oder zehnten Kloster spuckt mich das Schiff mit einer Handvoll Adidas- und Puma-Aktionären aus. Beim Ankommen bin ich unsicher, da ich mir in dieser Welt fremd und unwissend vorkomme. Zwei Mönche stehen zur Begrüßung da, von einem bekomme ich eine riesen Portion Lokum (ein überdimensionales Gummibärchen in Zucker gewälzt), die ich in meiner Verlegenheit als Ganzes in den Mund stecke und beinahe daran ersticke. Erst danach sehe ich, dass die anderen Besucher den Mönchen die Hand küssen – aber das hätte ich mit vollem Mund eh nicht mehr geschafft. Das „Einchecken“ ist chaotisch, der Gastmönch überfordert. Erst später erfahre ich (da ja, wie eh schon erwähnt, nur griechisch gesprochen wird…… ), dass es für uns keine Zimmer gibt. Es steht eine Priesterweihe an, 80 Gäste sind ungeplanter Weise im Kloster und haben die reservierten Unterkünfte belegt. Für uns gibt es einen Behelfsschlafsaal mit Eisenstockbetten, ich suche mir dummerweise ein Bett oben aus. Erst später realisiere ich, dass die Dinger derart instabil sind, dass beim Aufsteigen das ganze Gestell zu kippen droht. Na gut, ich habe keinen Luxus  erwartet, drum ist mir die Sache auch egal. Nicht ganz egal sind mir die vielen Dosen Insektenspray, die ich schon beim Betreten des Schlafsaals wahrnehme. Wanzen! Es soll Wanzen geben. Jetzt bin ich ja wirklich tierlieb, aber alles hat seine Grenzen und wenn ich Elke Wanzen aus Athos in den LKW mitbringe, schlafe ich in Zukunft draußen. Es hilft nix – ich bin jetzt nun mal hier. Beim Erkundungsgang durch das Kloster und die Umgebung entdecke ich verschiedene Dinge wie den Friedhof und das angeschlossene Beinhaus. Verstorbene Mönche werden für 5 Jahre vergraben, dann ausgebuddelt, die Knochen gesäubert und von einem geistig und sachlich Kundigen begutachtet. Sind sie weiß, ist alles in Ordnung, der Verstorbene war guten Geistes und Charakters und die Gebeine kommen ins Beinhaus. Sind sie allerdings dunkel oder gar schwarz, stimmt hier etwas nicht. Der Mönch kann kein Guter gewesen sein und die Überreste werden auf der Stelle vernichtet, so als hätte er nie existiert. Auf meinem weiteren Weg finde ich die Zisterne, den spärlichen Gemüseanbau (zum Essen komme ich später) und letztendlich die Kirche. Und hier geht es wirklich ab – mindestens 20 Stunden am Tag. Wer schon einmal eine orthodoxe Kirche betreten hat, erinnert sich an die schummrige Stimmung und die vielen dunklen hohen Betstühle, die rundum an den Wänden stehen – wie Kinderhochstühle im Erwachsenenformat. Die Sessel sind bis auf den letzten besetzt und – man verzeihe mir den Vergleich – mir drängt sich der Bezug zu einer Geisterbahn auf. Immer wieder erscheinen aus dem Dunkel Gestalten, die entweder mit oder ohne akustische Untermalung kurz in einem Lichkegel erscheinen oder wieder im Dunkel verschwinden. So erfüllt ein Singsang, ein monotones Murmeln, den Raum, das einmal aus dieser und einmal aus jener dunklen Ecke kommt, manchmal geht eine Lampe an und dann wieder aus. Manchmal erscheint im Halbdunkel der Kopf eines Mönchs in einem kleinen Fensterchen links oder rechts vom Altar und wieder hört man den monotone Singsang. Dazwischen wird gestanden, gesessen, gekniet – immer geht es auf und ab wie bei einem Jo Jo. Natürlich möchte ich nicht auffallen und so bemühe ich mich, alles gleich und richtig mitzumachen – nur beim Bekreuzigen unterläuft mir ein Fehler: Die orthodoxe Gemeinde bekreuzigt sich verkehrt herum und so bin ich sogleich als Ungläubiger ertappt und werde aus dem Heiligsten hinaus komplementiert. Na gut – auch recht. Es gibt Abendessen. Wieder werde ich gefragt: gläubig – also orthodox- oder nicht? Also nicht! Und so bekomme ich meinen Platz weit weg von den Mönchen im Speisesaal. Endlich, ein verständliches Wort! Ein Deutscher hat seinen Platz neben mir eingenommen. "Auch ungläubig?" frage ich. Sogleich bekomme ich wieder einen Verweis – beim Essen wird nicht gesprochen! Da frage ich mich jetzt aber langsam wirklich, welcher Gott hat das Sprechen verboten, hat verboten, dass man im glasklaren Wasser schwimmen darf, dass man bei 35 Grad Hitze kurze Hose anziehen darf? Schon sehr eigenartig. Und das Abendessen? Es gibt einen kleinen Teller Nudeln mit eigentümlicher Soße, danach eine Spalte Wassermelone. Bei Bedarf noch trockenes Brot. 20 % der Mönche hier (in einer Statistik gelesen) sind allerdings übergewichtig. Das dürfte mit diesen Portionen nicht möglich sein. Irgendetwas stimmt hier nicht. Interpretation überlasse ich anderen. Um den Rahmen dieses Beitrages nicht zu überspannen, möchte ich es nun dabei belassen. Als Fazit kann ich anfügen – es war eine interessante Erfahrung. Die Stimmung unter den Mitpilgern und Mönchen empfand ich als abweisend, zum Teil unfreundlich und man hat das Gefühl bekommen, irgendwie unerwünscht zu sein. Begegnungen mit Mönchen, die ich selbstverständlich gegrüßt habe, waren irgendwie unangenehm, da ich mehr oder weniger negiert wurde. Das Maximum war bestenfalls ein Zucken der Augen. Die Landschaft ist grandios, der Athos ist unglaublich zerklüftet, für die Strecke von 10 Minuten, die ein Boot von einem Kloster zu einem anderen benötigt, ist man zu Fuß 4 Stunden unterwegs. Es ist unmöglich am Wasser entlang zu wandern, der Felsen fällt zum Teil senkrecht ins Wasser. Man muss entlang der alten Pilgerwege, die zunehmend verfallen, hoch auf den Berg und von dort wieder ins nächste Tal hinunter. Die Moderne wird mehr und mehr spürbar – manche Klöster haben richtig Geld. Dort wird gebaut auf Teufel komm raus – moderne Baumaschinen, Betonmischer, Kräne stehen davor. Es wird aber auch viel gestohlen. So lese und höre ich es. Und so empfinde ich von Seiten der Mönche eine gehörige Portion Abgehobenheit und von der ganzen Sache an sich eine entsprechende Scheinheiligkeit – trotzdem war es wie gesagt eine Erfahrung die ich letztendlich nicht missen möchte.