Am Weg nach Evia

 

 

Länger als gedacht verbleiben wir in Delphi – einfach zu schön ist unser Standplatz, als dass wir ihn frühzeitig verlassen wollen. „Meine Lieben, man kann ja auch nicht denken, wenn man es eilig hat“, ermutigt uns Platon zu bleiben. Nicht dass das Denken per se jetzt unser vorrangiges Ziel wäre, das Genießen und sich ein bisschen treiben zu lassen, trifft es da wohl eher. Aber da unser Freund das ewig Unveränderliche zu finden bestrebt ist, das seiner Ideenlehre gemäß nur verstandesmäßig zu erfassen sei, ist mir seine Schlussfolgerung schon klar. „Also gut, lieber Platon, wir üben uns weiter darin  das ewig Wahre, und seine eigentliche Form dahinter in den Dingen zu erkennen und schalten unsere grauen Gehirnzellen auf Höchstleistung – und dafür nehmen wir uns Zeit!“ Alles eine Sache der Auslegung, oder? Ich muss wohl zugeben, dass mir seine Gedanken nicht immer ganz zugänglich sind. Schwierig wird es wahrlich manchmal, wenn wir dem Fotografieren so große Aufmerksamkeit schenken. Davon hält Platon nämlich gar nichts. Von Kreativität hält er nicht viel, wäre doch alles „nur ein Abbild des sich ständig Verändernden“. Und da hat er ja letztlich recht, doch genau das ist für uns das Wertvolle – das in genau diesem Augenblick Vorhandene festzuhalten und wahrzunehmen. Nun gut, da werden wir wohl unterschiedlicher Meinung bleiben.

 

Wir machen also noch einen ersten Ausflug mit unserem neuen Motorrad ins nahe liegende Dorf Arahova und weiter zum wirklich beeindruckenden Kloster Osios Loukas. Der Weg führt uns zu den Ausläufern des Parnass, jenes Gebirgszuges, den reiche Griechen zu ihrem bevorzugten Schigebiet erklärt haben. In Arahova haben wir wieder Glück, da auch dort gerade ein Fest stattfindet: Viele Bewohner in alten Trachten messen sich im sportlichen Wettkampf, bei dem es am Ende ein kleines Schaf zu gewinnen gibt. Wohl gemerkt, wir haben heute Montag und es ist mitten am Tag …. und die Griechen sind in bester Feierlaune! Die Arbeit wurde anscheinend „kurz“ beiseite gelegt -  eine Gesellschaftsstudie! Unser nächstes Ziel, das Kloster, stellt eine architektonische Meisterleistung dar und ist ein bedeutendes Beispiel byzantinischen Kreuzkuppelbaus. Wir sind wieder fast alleine dort und genießen die Aussicht und die wunderbare Umgebung.

 

Überhaupt haben wir auch richtig Glück mit dem Wetter, das zu einer Zweiradspritztour ja geradezu einlädt. Aber dazu vielleicht noch ein paar Worte. Ich bin mir nicht sicher, welches Orakel Christian da befeuert hat, als er sich für diese KTM entschieden hat. Ich frage mich bei jedem neuerlichen Aufsitzen, warum ich mir das antue??!! „Du weißt, dass auch Sisyphos den Stein zum wiederholten Male hinaufrollen musste?“ fragt mich Platon. Da werde ich jetzt fast ein bisschen ungehalten. „Mein guter Platon, ich habe hier keine Strafe abzubüßen, ich bin vielmehr die liebende Frau meines Partners, also die Toleranz in Person! So sieht die Wahrheit nämlich aus!“ antworte ich ziemlich genervt. Als er mir dann auch noch mit seinem Höhlengleichnis zu kommen versucht, verliere ich fast die Contenance. „Das ist so eine Sache mit der Wahrheit und der Realität…“ startet er den Dialog. Doch ich habe mich vorab eingelesen und antworte spitz: „Guter Platon, wer soll ich denn nun sein, laut deinem Gleichnis?? Diejenige, die die Wahrheit erkannt hat? Na dann werde ich am Ende aber erschlagen. Oder meinst du, ich bin eine der Höhlenbewohner und verbleibe in meiner Unwissenheit? Pahhh, beides sind für eine emanzipierte Frau im 21.Jhd. keine ernsthaften Optionen. Also wirklich, da lassen wir doch die Kirche mal schön im Dorf, und manchmal die hohe Philosophie auch besser im Hause! Und Schluss, basta!“…. das hat gesessen, und ich bin seine philosophischen Weisheiten vorerst mal los. Seine Zeitgenossen werfen Platon nicht selten übertriebenen Ehrgeiz vor und auch die Tatsache, dass er neben seiner Meinung keine andere duldete. Mit mir nicht, lieber Platon, und somit zurück zur Wahrheit!

 

Also, wenn man das Bedürfnis hat, sich auf einen knatternden Schiffsdieselmoter setzen zu wollen, dann empfehle ich ein Ticket für den Sozius auf dieser Höllenmaschine. Kurzum, meine Beine sind zu lang, mein Hintern zu breit und mein Bedürfnis nach Leiden definitiv zu gering, um daran Spaß finden zu können. Mein Resume dazu: das Bike ist die reine Katastrophe, wenn man hinten drauf sitzt. Und sogar Christian räumt ein, dass man an der Federung und an der Sitzbank vielleicht „noch etwas verbessern könnte“. Na, das will ich hoffen, sonst werden wir zwei damit bestimmt nicht grün!!!

 

Ich versuche also, die Befindlichkeiten meines Untergestells zu ignorieren, beiße die Zähne zusammen, um mein teures Zahngold zu schützen und halte mich weiter krampfhaft an dem spärlichen Gestänge links und rechts von dem, was der Hersteller wohl eine Sitzbank nennt, fest. Und wenn mir noch Ressourcen übrig bleiben, versuche ich den Rest zu genießen: das wunderbare Blumenmeer zwischen den Olivenbäumen, den Duft der riesigen Ginsterbüsche am Straßenrand, die herrlich türkisblauen Buchten und das liebliche Bild der roten Ziegeldächer zwischen hoch aufragenden Zypressen in weiter Ebene. Es lässt sich also schon irgendwie aushalten!

 

Zurück an unserem Standplatz starten wir noch ein weiteres neues Abenteuer: wir lassen Elise von der Leine! Elise ist unsere Drohne, und hat gerade ihre ersten Flugstunden hinter sich. Voraussetzungen sind Windstille und ein ebener Start- und Landeplatz, dann kann`s losgehen. Christian, für den der Joystick ja eher Neuland bedeutet - damals war eher Fischertechnik das angesagte Spielzeug im Kinderzimmer - macht sich aber schon ganz gut. Jetzt heißt es erst mal üben, damit wir vielleicht schon in Meteora den ersten großen Rundflug wagen können. Mittlerweile hat Christian aber den Einsteigermodus bereits verlassen und kann schon in Höhen bis zu 100 m hochsteigen. Mir bleibt somit wieder mehr Zeit zum Lesen und Schreiben, weil Mann hat sein neues Spielzeug entdeckt.

 

 

 

Auf unserem weiteren Weg in Richtung Euböa, oder Evia wie die Griechen ihre zweitgrößte Insel nach Kreta nennen, komme ich nochmal richtig ins Schwitzen: Ich setze mich ans Steuer von Styros! Ja, der Bann ist gebrochen, wir zwei werden uns auch langsam aneinander gewöhnen und annähern. Aber das braucht noch viel Zeit, muss ich gestehen. Kurz vor der Stadtdurchfahrt von Thiva übergebe ich das Steuer gerne wieder Christian. Schließlich lebte dort einst im mythischen Theben die  Unheil verheißende Sphinx, jenes Ungeheuer mit dem Leib eines Löwen und dem Kopf einer Jungfrau – und man weiß ja schließlich nie! „Alles keine große Sache, du musst nur ihre Frage richtig beantworten“, ermutigt mich Platon. Nun muss ich aber gestehen, dass ich auch an jener Frage, die sie Ödipus gestellt hatte, kläglich gescheitert wäre. „Welches Wesen geht am Morgen auf  vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Beinen?“ Der sonst vom Schicksal ja nicht unbedingt begünstigte König Ödipus antwortete souverän mit:  „Der Mensch – das Baby krabbelt auf allen Vieren (am Morgen), der Erwachsene geht auf zwei Beinen, der Rentner geht am Stock (am Abend).“ Ja, ich bin zu blöd dazu, also lassen wir diese Art von Abenteuer lieber aus und machen einen weiten Bogen um die Stadt.

 

Der Süden Euböas zeigt sich abwechslungsreich. Wir finden wieder einen grandiosen Standplatz für Styros und erkunden den Rest per Motorrad…. wie gesagt, ich gebe mich tolerant und leide still!

 

Wir besuchen die Drachenhäuser, jene monumentalen, rechteckigen Gebäude im Süden der Insel, die zur Gänze aus Schiefergestein der Gegend erbaut wurden. Es gibt keine wirkliche Erklärung dafür, wer und wofür diese megalithischen Gebäude errichtet wurden. Doch da es zweifellos mächtige Kraftanstrengung bedeutet hatte, diese z.T. riesigen Monolithen übereinander zu stapeln, entschied man sich dafür, dies könne nur das Werk und die Wohnstatt von „Drachen“ gewesen sein. Am Ende des Tages kehren wir wieder in die Boufalo-Bay zu Styros zurück und genießen die Abendsonne bei einem Glas Retsina.