Frühling am Pilion

 

„Platon, wie gefällt es dir hier?“ frage ich unseren gelehrten Begleiter. „Es ist ja nun hinlänglich bekannt, dass Zeus das Schönste, was Griechenland zu bieten hat, auf dieser Landzunge zusammengetragen hat – um hier Urlaub zu verbringen, wohlgemerkt. Na wenn das so ist, dann sind wir doch am richtigen Fleck gelandet. Man liest, sie hätten die Hauptverkehrswege in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Na, schauen wir mal. Volos Stadt lässt sich bequem auf der Ring Road umfahren und dann rollen wir auf der Nord-Süd-Verbindung langsam  aber stetig entlang der unzähligen Kurven bergauf und bergab. Vorerst geht alles gut. Schließlich aber wollen wir doch an den Strand, da heißt es also: Kleinere Querstraßen abseits der Hauptstraße wählen. Was wir nur leider so gar nicht bedacht haben, ist die Tatsache, dass auch hier der 1.Mai zelebriert wird. Und ganz Griechenland scheint auf den Beinen zu sein! Die Strandcafès sind zum Bersten voll, alle finden sich zum Familientreffen ein, jeder ist mit dem Auto irgendwohin unterwegs. Und wir mit Styros eben wieder mal mitten drin. Wir haben uns über Google-Earth richtig schöne Plätze ausgesucht und wollen eben diese nun auch ansteuern. Doch hier zeigt sich wieder mal, wo unsere Grenzen liegen – in der Breite und in der Höhe! Christians Adrenalinspiegel steigt um Nuancen an, meiner schießt förmlich nach oben, doch in diesen Momenten schweige ich wie ein Grab und sitze still. Die Aufforderung, die noch freien Zentimeter zu unserem rechten Vorderrad jetzt bitte „doch rasch (!) mitzuteilen und den Seitenspiegel endlich einzuklappen“, lässt mich aus meiner Angststarre erwachen und gleich mal mit dem Kopf abrupt gegen mein Seitenfenster schlagen - da ich in der Hektik wieder mal vergessen habe, es zu öffnen. Nun gut, es dauert alles ein bisschen länger als gewünscht, aber die Informationen kommen! Ich gebe es zu, mich überfordern derartige Situationen oft ein bisschen, Christian meistert fahrtechnisch wirklich all das ganz bravourös. Und ich übertreibe nicht, wenn ich hier von Millimeterarbeit spreche. Letztlich hat Styros keinen einzigen Kratzer abgekriegt und von den Leuten draußen ernten wir nicht selten einen nach oben gehaltenen Daumen. Aber zweifelsohne, wir sind zu groß für diese Halbinsel geraten und so macht sich Christian, nachdem wir endlich einen Standplatz gefunden haben, per Motorrad auf, noch weitere Küstenabschnitte zu erkunden. Mit dem Ergebnis, nach 130 Kilometern-Suche, dass es noch einen (!) dafür wirklich geeigneten Standplatz ca. 20 Kilometer weiter südlich gibt. Und jeder, der Christian kennt, weiß um seine Ansprüche Bescheid. Also, am nächsten Morgen ganz früh – damit nur ja noch niemand unterwegs ist – machen wir uns auf, ans Ziel unserer Träume. Alles geht gut, bis zur letzten Kurve um ein Hauseck herum. Der Einfahrtswinkel in die Kurve ist denkbar ungünstig, es geht leicht bergauf und die Hausmauern stehen so, dass sich die Straße mit zunehmendem Kurvenverlauf auch noch verjüngt. Ich habe gelernt: springe rechtzeitig mit aktiviertem Funkgerät in der Hand aus dem Auto, gebe präzise Auskünfte über noch verbleibende Millimeter,  achte auf Mauervorsprünge in der Höhe, auf zu dicke Äste von der Seite, halte ein entgegenkommendes Auto rechtzeitig auf -  ich mache einfach ALLES richtig! Na geht doch eh ganz leicht - wir sind durch! Nun aber ehrlich, ich ziehe den Hut vor Christians Fahrkönnen  - und doch….. ich verfluche manchmal seine Beharrlichkeit, etwas erreichen zu müssen. Puhhh, so ein Stress auch immer. Aber zugegeben, jetzt sitzen wir an einem wirklich fehlerlosen Stück Kiesstrand mit Abendsonne!

 

 

 

Von dort geht es in Tagesausflügen mit dem Motorrad über die Halbinsel. Die Jahreszeit ist ideal, das Wetter mittlerweile vom Feinsten, der Frühling scheint sich selbst überholen zu wollen und die Natur birst aus allen Nähten. Einfach unbeschreiblich schön. Hatte ich schon vorher beschrieben, wie herrlich blühende Ginsterbüsche duften, so befinden wir uns jetzt förmlich in einem Ginsterwald, baumhohe Sträucher mit satten Stängeln und leuchtenden Blüten. Olivenhaine, immer wieder durchbrochen von Streuwiesenblumen in allen Farben, dazwischen der Blick in türkisblaues Wasser – schöner könnte es nicht sein. Und auch die kleinen Dörfer, sind ausnahmslos reizvoll. Viele noch alte gemauerte Häuser, fast immer ein kleines Kirchlein und was natürlich nie fehlen darf, ist der Dorfplatz um die große Platane. In Tsangaràda steht ein angeblich 1000jähriges Exemplar. Und bei diesen gigantischen Ausmaßen halten wir dies durchaus für möglich. Der nette Wirt erzählt uns mindestens eine halbe Stunde lang die ganze Lebensgeschichte dieses Naturwunders und wir können nur staunen.

 

Überhaupt stehen Platanen dort wo es Wasser gibt. Und Wasser gibt es hier in Hülle und Fülle. Überall rauscht ein Bach, plätschert ein Brunnen und nirgendwo haben wir so viele Platanen gesehen.

 

Knapp eine halbe Stunde weiter mit dem Motorrad in den Norden stehen wir praktisch mitten in einem Schigebiet. Ein einsamer Einser-Sessellift verspricht jetzt nicht die große Hüttengaudi, aber immerhin, Schifahren im Winter zwischen November und März ist hier durchaus nichts Seltenes. Auf den Bergkämmen liegt angeblich bis zu sechs Meter hoch der Schnee und manche Ortschaften können dadurch von der Außenwelt abgeschnitten sein. Die typischen Steinhäuser  mit ihren schweren grau-grünlichen  Schieferdächern und ihren schmalen Fensterluken muten fast wie kleine Trutzburgen an. Der Süden des Pilions entpuppt sich als romantisches Badeparadies mit Traumbuchten und entzückenden kleinen Ortschaften. Dort dominieren rote Ziegeldächer zwischen Zypressen und Olivenbäumen. Der permanente Duft des Ginsters und all diese Bilder haben etwas Verzauberndes, auf jeden Fall nimmt es einen unwillkürlich  gefangen. Wir haben wahrlich selten eine vergleichbare Anhäufung so wunderbarer Plätze gesehen.

 

Aber wir sind auf jeden Fall froh, mit dem Motorrad unterwegs zu sein – auch wenn das Sitzen zumindest für mich immer noch eine Qual bedeutet – denn diese ganze Halbinsel ist dermaßen zerfurcht, dass es ausnahmslos in Kurven auf und ab geht. Genau das macht natürlich auch den Reiz dieser Gegend aus, kaum kommt man um eine Kurve rum, entdeckt man auch schon wieder was Neues. „Passt auf euch auf, auf euren Touren“, warnt uns Platon. „ Der Pilion ist die Heimat der Zentauren, ihr wisst sicher, jene heimtückischen Gestalten, halb Mensch, halb Pferd“. „Was tun, wenn wir einem von ihnen begegnen?“ frage ich ängstlich. „Da kann euch dann nur Theseus helfen, er war der Held seiner Zeit, und hatte alle Zentauren hier besiegt“. Ja, ja, irgendwo in meiner Recherche da kam er mir unter, jener mythische König von Athen, der am Ende durch einen Sturz vom Akropolisfelsen zu Tode kam. „ Aber macht euch nicht zu viele Gedanken. Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit“, versucht er die Sache am Ende wieder runter zu spielen. Wie auch immer, wir werden achtsam sein, und vielleicht schicken wir doch Styros voran und lassen das mit dem Motorradfahren bleiben – sicher ist sicher!