Von Ladakh nach Kashmir

-

Lamayuru und Srinaghar

Leh – Lamayuru (124 km) – Srinagar (306 km)

 

Wir fahren entlang des Srinagar-Leh-Highways, also auf einer ausgezeichneten Straße. Ein Abstecher in den kleinen und hübschen Ort Hemis-Schupachen bringt uns in den Genuss der wohl köstlichsten Marillen die wir seit Jahren probieren durften. Die Luft  ist klar wie fast an jedem dieser Tag, herrliches Fotowetter also. Die dafür optimale Trockenheit wirkt sich aber schon seit Wochen weniger schmeichelhaft auf Haut und Schleimhäute aus. Die Nase ist vertrocknet, die Kontaktlinsen kleben am Auge wie nach einem Saunagang und ansonsten schuppt sich die Haut wo immer sie der extrem trockenen Luft ausgesetzt ist. Sonst aber geht es uns gut J.

Lamayuru erscheint fast wie der letzte tibetische Wachposten westlich von Leh in einer endlosen Bergwildnis. Die Gegend wird als das „Moonvalley“ bezeichnet. Auswaschungen im weichen Sandstein ließen über die Jahrtausende sogenannte „Schornsteine“ entstehen, die der Landschaft eine bizarre Oberfläche verleihen – vielleicht so ähnlich wie am Mond. Aber dort waren wir ja noch nicht. Licht und Schatten zu den unterschiedlichsten Tageszeiten tun das Übrige dazu, um dem Fotografen unendliche Möglichkeiten zu bieten. Das Kloster von Lamayuru zählt zu den ältesten in Ladakh und ist mit seinen gut erhaltenen Wandmalereien auch wirklich schön. Dort dürfen wir einer Kinder-Puja beiwohnen. Die etwas älteren rezitieren bereits lautstark und ohne Unterlass, die kleineren blättern in ihren Büchern vor und zurück, gähnen ob der frühen Morgenstunde und tratschen mit ihrem Nachbarn, während sie irgendwann nur noch ungeduldig von einer Pobacke auf die andere schaukeln. Abwechslung bietet ihnen der Einsatz der Instrumente – endlich darf ein Horn geblasen, ein Gong geschlagen und dürfen Schellen gegeneinander gerieben werden. Zuvor schon treffen wir zwei aufgeschlossene Jungmönche, die uns erzählen, vier Jahre hier im Kloster zur Schule zu gehen. Ihr Englisch ist passabel und sie wirken fröhlich und aufgeweckt, wie alle Jungs in ihrem Alter. Nachmittags hören wir nur ihr lautes Lachen beim Fußballspielen irgendwo auf einem kleinen Platz in der großen Klosteranlage. Am Fuße des Klosters kleben noch die Reste des alten Dorfes am Berghang. Unser Spaziergang führt uns durch enge Gassen, niedrige Durchgänge und über abgetretene Stufen rauf und runter. Wir hoffen, dass die Reste aus brüchigem Stein und Holzbalken, die mit Dung und Lehm zum Halten gebracht wurden, auch uns noch aushalten. Hinter verschlossenen Türen lässt sich noch die eine oder andere Wohnstatt vermuten – unglaublich, dass hier, ohne Fließwasser inmitten all des Unrates, noch Menschen „wohnen“. Wenn man aber ganz langsam hier durchspaziert, nicht nur auf den Verfall sieht sondern sich einfach treiben lässt, den Nachhall der Mönchsgesänge noch im Ohr hat, ja, dann ist dies ein ziemlich mystischer Ort. Wir sehen ein letztes Mal die typisch tibetischen alten Frauen in ihren Trachten. Die Gesichter verrunzelt, das Alter nicht einschätzbar, das Haar zu zwei langen Zöpfen nach hinten geflochten. Und trotz ihres zweifellos hohen Alters tragen sie große Körbe auf ihrem Rücken mit allerhand Zeugs drinnen.

Ein kurzer Ausflug bringt uns noch ins Zanska-Tal – aber nur bis zu einem bestimmten Punkt – dort entscheiden wir uns ganz klar für ein Umkehren! Die Straße wird so baufällig, der Berghang wölbt sich wie ein gefährlich brüchiges Dach darüber und auf der anderen Seite geht es ca. 14 Tage bergab ins Flusstal. Hier ohne Allrad weiter zu fahren, würde große Risiken mit sich bringen, und wir möchten uns und unser Auto nach wie vor sicher und unbeschadet nach Delhi zurück bringen. Und auch die Aussicht auf 10 Stunden wildeste Rumpelpiste bestätigt uns in unserem Entschluss. Wir passieren noch den Zusammenfluss von Indus und Zanska. In einer tiefen Schlucht vereinigen sich die beiden Gewässer, der Indus grünlich und der Zanska bräunlich.

So geht es also weiter Richtung Westen, Richtung Kashmir. Die Landschaft verändert sich, sie wird deutlich grüner, fruchtbarer. Und immer wieder Straßenarbeiter. Man versteht es nicht ganz. Eigentlich sind die Straßen erstklassig, mit schwerem Gerät perfekt gemacht. Und trotzdem gibt es Abschnitte, die per Hand vorbereitet, ausgebessert oder nachbearbeitet werden. Mal sind es große Trupps, die Steine zerkleinern, Schotter wegschaufeln, Asphalt auftragen. Und manchmal sind es ganze Familien, die vor Ort sind – die Eltern arbeiten, die kleine Kinder sitzen gleich daneben, von der Sonne geschützt nur durch einen großen Pappendeckel, und wenn sie kleiner sind, sitzen sie in den Pappschachteln drinnen.

Wir entfernen uns mehr und mehr von der chinesischen Grenze, nähern uns aber jener zu Pakistan an. Daher bleibt das Militäraufgebot gleich groß. Wir haben sogar das Gefühl, die Militärpräsenz wird hier noch stärker – eine Großlager nach dem anderen und unzählige Militärfahrzeuge auf der Straße, hinter denen wir „nachzappeln“ dürfen. Noch einen hohen Pass gilt es zu überwinden und wir staunen ganz schön, wie spektakulär auch dieser noch ist. Spätestens hier wird uns klar, warum Leh in den schneereichen Wintermonaten tatsächlich abgeschnitten ist. Hier kann Schneeräumung einfach nicht funktionieren! Irgendwann hört auch der Asphalt auf und die Fahrbahn wird so schmal, dass sie zu einem doppelten Einbahnsystem am Berghang wird. Eine letzte Hürde ins Tiefland – der Zoji-La! Zwei schmale Bänder winden sich wie eine Schlange in unzähligen Serpentinen den Berghang entlang. Faszinierend, was Indien durch seine Bergwelt schlägt – Narben in der Natur, doch notwendige Wege zur Entwicklung ansonsten völlig entlegener Gegenden. Und bald haben wir weitere 1500 Höhenmeter nach unten zurück gelegt und die Landschaft verändert sich drastisch. Aber nicht nur sie, auch das Bild der Menschen, der Dörfer ändert sich – alles wird muslimischer. Der Einfluss Pakistans ist ganz deutlich sichtbar. Männer mit langen Bärten, Frauen mit Kopftuch und z.T. verschleiert – wie vielfältig dieses riesige Land doch ist. Das feuchtere Klima lässt mehr Landwirtschaft zu und wenn wir das Fenster öffnen, weil es gerade mal nicht so sehr staubt, dann hören wir Zikadenschwärme ihr Lied singen. Nach einer richtig langen Fahretappe –  guten sieben Stunden – erreichen wir ziemlich müde den Dal Lake in Srinagar.

Wir beziehen ein typisches Hausboot am See. Nicht feudal, so darf man sich das nicht vorstellen, aber schon was echt Besonderes. Hier ist alles ein bisschen „schwülstig“ mit vielen Teppichen ausgelegt, ein bisschen schummrig und durchaus auch in die Jahre gekommen. Wesentlicher Unterschied zu einem Zimmer im Hotel ist die Tatsache, dass der Boden uneben und z.T. schief, die Wände zur Nachbarkabine dünn, weil ja nur eine Bretterwand, und der lange Gang entlang des Bootes niedrig und schmal ist J. Doch der Ausblick abends und morgens, wenn der See zu seinem ganz individuellen Leben erwacht, ist es absolut wert, hier einige Tage zu verbringen. Mit uns am Boot ist eine indische Familie, die zum Pre-Wedding-Fotoshooting aus dem Süden angereist ist – als Vorbereitung für die Hochzeit im Dezember, damit man den 500 geladenen Gästen ein gutes Video präsentieren kann! Indien ist und bleibt incredible!

Ja, und heute waren wir wieder in „meinem Indien“ – zuerst in den Mogulgärten und dann am Freitagsmarkt vor der Moschee in Srinagar. Es ist das laute Indien, das geschäftige, das mit unzähligen Menschen auf kleinem Raum, das wuselige, das bunte, das, in dem die Gerüche einen überwältigen, in dem es allerhand Bekanntes und Unbekanntes zu essen gibt, …. und hier ganz speziell jenes Indien, in dem man ständig angesprochen und willkommen geheißen wird! Es war einfach fantastisch. Nirgends sonst auf der Welt haben wir sooo eine Willkommenskultur erlebt, wie heute hier in Kashmir. Immer wieder bleiben Menschen stehen und drücken ihre Freude darüber aus, dass wir ihre Region besuchen. Kashmir ist ein schwieriger Flecken Indien, der Konflikt währt lange und ist kompliziert. Die Kashmiris fühlen sich von der indischen Zentralregierung um ihre Rechte beraubt, daher gibt es auch immer wieder Unruhen. Kashmir als Reiseziel deshalb auszuschließen, oder es gar gefährlich zu nennen, wäre derzeit aber weit gefehlt. Es ist ganz im Gegenteil extrem angenehm !!