Flucht nach Hause

 

Wir haben also eine Entscheidung getroffen, haben die Option „Zurück in den Iran“ schweren Herzens fallen gelassen und sind nach Nordwesten aufgebrochen. Leider sehen wir von Saudi Arabien gar nichts, da wir nur „Kilometer fressen“, haben wir doch einen verdammt weiten Weg bis zur Fähre in Haifa vor uns. Auch durch Jordanien brausen wir leider nur durch. Unendlich schade um dieses sicher schöne Land. Der Grenzübertritt vom KSA nach Jordanien ist einfach aber teuer. Dann eine Email von der Fährgesellschaft: “Es tut uns leid, aber vorerst fahren keine Schiffe von Haifa nach Italien“. Wir sitzen fest, fühlen uns gestrandet. Tags darauf eine neue Email. Es gibt ein Schiff, 11 Tage später – auch gut. Zuerst haben wir uns voll abgehetzt, um diesen frühen Fährtermin halten zu können, jetzt ist alles anders und wir haben – scheinbar – Zeit. Wir atmen auf, genießen unser Abendessen. Doch schon bei der Nachspeise die nächste Meldung. Österreicher dürfen die Grenze zu Israel nicht mehr passieren. Wir kratzen den letzten Rest an Zuversicht zusammen, geben früh morgens richtig Gas und gelangen über die Grenze nach Israel. Auch dieses Prozedere ist nicht ganz einfach. Alles klappt, aber es dauert und wir spüren ganz deutlich, an einer der bestbewachten Grenzübergänge zu stehen. Unzählige Uniformierte und alle mit Schnellfeuergewehren. Schon die Fahrt hierher von Jordanien hinterließ ein eigenartiges Gefühl. Noch nie habe ich über so weite Strecken mit Schusswaffen abgesicherte Stacheldrahtzonen gesehen. Eine Bastion, in die wir da einreisen.

 

In Israel nehmen wir uns an einem Tag sogar etwas Zeit, tauchen einmal kurz ins Tote Meer. Ja, es stimmt, man fühlt sich wie ein Korken und die Situation ringt auch uns ein Lächeln ab. Aber richtig genießen, nein, das gelingt uns nicht. Im Gespräch mit Reisefreunden, die noch in Jordanien sind, erfahren wir, dass sie auf dieselbe Fähre gebucht sind, wie wir. Nur so viele Plätze hat die Fähre gar nicht. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Fährgesellschaften halten uns hin, wir können ohnedies immer nur mit „Agenten“ sprechen. Und dann wird die Vermutung zur Realität, es fahren keine Fähren mehr nach Italien. Wir sind am Boden zerstört. Unsere letzte Chance gemeinsam mit dem LKW von hier weg zu kommen, ist eine Fähre nach Griechenland. Die Buchung klappt, wir allerdings dürfen nicht mit an Bord, wir müssen fliegen. Styros wird verschifft, muss ganz knapp an der Bordwand der Fähre stehen und Christian befürchtet Schlimmes, da sie starke Unwetter für die Überfahrt vorausgesagt haben. Aber wir haben keine Wahl und besteigen tags darauf den Flieger nach Athen. Dort heißt es dann drei Tage warten …. Nun gut, wir haben das europäische Festland erreicht, aber wie kann es weiter gehen. Alles dreht sich nur noch um das eine Thema, wie kommen wir alle – wir sind mittlerweile wieder 5 Fahrzeuge, 10 Personen, wieder nach Hause. Der Landweg scheint immer aussichtsloser. Zu viele Grenzen, zu viele Unsicherheiten, daran glauben wir nicht mehr. Es tut sich plötzlich eine Tür auf – es gibt eine Fähre von Patras nach Ancona. Christian arrangiert alles mit der Fährgesellschaft, ja, es gibt Plätze und wir sind quasi schon am Weg dorthin. Noch bevor er die Buchung abschließen kann, müssen wir erfahren, dass auch dieser Weg versperrt ist. Wir geben uns nun endgültig geschlagen und sehen ein, dass wir Styros hier lassen müssen. Wir empfinden unseren Dicken zum ersten Mal als Klotz am Bein. Er ist zu groß, um in einen Container zu passen, also haben wir keine andere Möglichkeit. Wir wollen am nächsten Tag den Abendflieger von Athen nach Wien nehmen. Doch schon wieder überschlagen sich die Ereignisse und in den Nachrichten sagt Kanzler Kurz, dass der Flugverkehr nach Österreich ab morgen eingestellt werden soll. Jetzt überkommt uns leichte Panik. Wir buchen noch in der Nacht den Frühflug nach Hause – die letzte Lauda Motion Maschine hebt mit 19 Passagieren im Gepäck ab nach Wien. Styros haben wir unaufgeräumt und ziemlich verwaist mit gemischten Gefühlen auf einem bewachten Parkplatz in der Nähe des Flughafens lassen müssen….

 

Wir erlebten die letzten drei Wochen wie auf der Flucht. Nicht zu vergleichen mit Kriegsflüchtlingen, natürlich nicht. Aber alle, wirklich alle unsere gemachten Pläne wurden zuerst einmal über den Haufen geworfen und bedurften einer Abänderung! Das hat so viel Kraft gebraucht, sich immer wieder neu zu motivieren und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Erst jetzt zu Hause, an unserem Schlafbedürfnis merken wir, wie erschöpft wir sind. Traurig, weil unsere Weltreise viel zu abrupt ihr Ende gefunden hat und müde, weil die letzten Wochen nur Anstrengung und keine Reisefreude gebracht haben.

 

Wir leben in ganz speziellen Zeiten und auch das Reisen fordert seinen Tribut. Noch braucht es ein bisschen, bis die Reiseseele dem physischen Körper ganz nachfolgen kann. Es ist noch so Vieles offen geblieben, Einiges mussten wir  auf unbestimmte Zeit zurücklassen. Natürlich hat auch all das mit uns etwas gemacht. Die Heimat als Ankerplatz hat noch einmal mehr an Bedeutung erlangt. Und doch, irgendwann wird Corona überstanden sein und ein anderes Virus wird uns wieder fesseln und hinaus ziehen in diese wunderbare und spannende Welt – um weiter Stück für Stück von ihr zu entdecken…..