Viva La  Habana

 

Wir kommen spät abends und auch schon ziemlich ermüdet in Havanna an. Der Abholdienst von unserer vorreservierten Unterkunft funktioniert perfekt und liefert uns auch zielgerecht ab. Und schon sind wir mittendrin in Kuba`s Alltagsleben: Wir haben zwei Zimmer reserviert, doch es ist nur eines verfügbar. Aber alles kein Problem. Destino zieht aus dem Wohnzimmer aus und Franz hat schon sein kuscheliges Bett gewonnen. Wenn scheinbar nichts mehr geht, geht doch immer noch was – that`s lifestyle in Kuba, alle sind freundlich und irgendeine Lösung gibt es immer.

 

Am nächsten Tag empfängt uns Havanna nicht gerade mit freundlichem Wetter, es ist diesig, man weiß nicht recht ob es regnen wird und besonders warm ist es auch nicht. Destino meint das sei normal, es ist ja Winter. Wir hoffen auf Besserung, schließlich sind wir ja in die Karibik geflogen!

 

Doch schon bald sind wir sehr versöhnt mit allem, die Straßen Havannas laden uns trotz mäßigem Wetter offenherzig auf Streifzüge ein, jedes Haus in Stein gemeißelte Geschichte.  Wir wohnen in Havanna Vieja, also in der Altstadt und starten unsere Erkundungen auch von dort.  Wir sind mehr als erstaunt so viele der alten Chevis, Cadillacs, Dodges und Fords zu sehen, aber davon später mehr … das möchte Christian erzählen.

 

Die koloniale Architektur der Altstadt wirkt wie eine Augenweide und  man fühlt sich wie in einer Zeitreise gefangen. Sehr bald auch wird mir klar, diese Stadt ist auf besondere Weise anders - anders als alles sonst was ich gesehen  habe. Warum nur, ich frage mich das eine Zeitlang, bis mir eine Antwort darauf einfällt. Es ist dieser ganz offensichtliche Verfall einer trotzdem noch über alle Maßen hinaus existenten Historie. Mit wenigen Ausnahmen scheint alles hier dem Verfall preisgegeben, keine Häuserfront ist ganz, Fensterflügel haben den Kampf gegen die Schwerkraft verloren, Glasscheiben fehlen in großer Zahl und sind durch Plastik oder auch nichts ersetzt worden, alles ist irgendwie zusammengeflickt und die Patina baulicher Versäumnisse gibt den Häuserfronten ihren ganz besonderen Anstrich. Aber eben trotzdem scheint alles mit pulsierendem Leben beseelt zu sein. Ganz unweigerlich richtet sich die Aufmerksamkeit nicht auf das, was nicht mehr ist sondern vielmehr auf das, was noch da ist – und das ist ganz wunderbar. Die Seele der Stadt und ihrer Menschen macht dies möglich – zu sehen was mal war und noch sein könnte oder vielleicht  wieder mal werden wird. Das Glas fühlt sich halb voll und nicht halb leer an. Ein sehr lebendiges Gefühl in einer morbiden Realität.

 

Und noch etwas wird sehr bald sichtbar. Es ist dieses nicht vorhandene Warenangebot, das bei uns ansonsten den sichtbaren Alltag bestimmt. Und nicht nur bei uns, auch im Rest Mittelamerikas, in Asien oder Afrika ist dies ja so. Hier gibt es hingegen fast nichts und von allem zu wenig. Keine großen Kaufhäuser, nicht mal prall gefüllte Gemüsemärkte findet man, ein paar wenige Dosen Babynahrung, Bohnen oder Reis „füllen“ die Regale, die Gemüsekarren sind spärlich bestückt. Fast überall stehen auch dafür die Menschen Schlange  um vom Wenigen etwas zu bekommen.  Doch auch hier scheint die kubanische Seele einen Weg gefunden zu haben damit umzugehen, man nutzt das Warten zum Plaudern, niemand drängelt oder schimpft, die Menschen haben ganz offensichtlich damit zu  leben gelernt. Ganz sicher empfinden viele dies als Einschränkung, doch die gehört ja  seit Jahrzehnten zu ihrem Leben dazu, und so haben die meisten Kubaner Improvisation zu ihrem Credo erklärt. Ganz eindeutig stehen den Erfolgen der Revolution unübersehbare Probleme gegenüber. Doch die Stützpfeiler soziale Gerechtigkeit und nationale Unabhängigkeit haben sie sich in ihrer Essenz dennoch erhalten können. Triebfeder zu Unmut ist für die junge Generation kaum existenzielle Not sondern  der (verständliche) Wunsch aus dem Mangel des Alltags auszubrechen. Sie haben die eigentlichen Gräuel aus der Zeit Batista`s nicht mehr erlebt. Und es wird nicht leicht sein ihnen zu verdeutlichen, dass ein Eintritt in den Kapitalismus eben diese genannten Stützpfeiler auch zwangsläufig gefährden wird.