Ein Sommer wie kein anderer

Wir haben den Sommer zu Hause verbracht - teils geplant, teils erzwungen. Das Leben gibt einem manchmal unweigerlich etwas vor, Manches ergibt sich von ganz alleine. So ist das Leben - immer bunt und nie ganz vorhersehbar. Ich möchte an dieser Stelle eine kurze Story veröffentlichen, die ich gerade geschrieben habe. Denn das Schreiben ist auch so ein Teil - ein ganz wichtiger - meines Lebens und so findet die Geschichte auch auf unserem Blog Platz. - Danke fürs Lesen ....

 

Ein Sommer wie kein anderer

Zur Ruhe kommen nach einer bewegten Reisezeit. Krank werden und wieder beschließen, gesund zu sein. Ein kleiner Kraftakt, der auch Energie mobilisiert, wenn er denn gelingt. Also alles ist gut, das Leben ist wundervoll. Freunde treffen, Zeit für einander finden. Mein Herz wieder auffüllen mit vertrauten Gefühlen, überhaupt mit allem, was ich so sehr liebe und das mir in der Fremde oft fehlt. Es ist ein wunderbarer Sommer.

Und dann passiert das, wovor ich mich schon lange gefürchtet habe. Mehr vielleicht sogar vor den Umständen, unter denen es passieren könnte. Für die Tatsache selbst fehlte mir die Vorstellung. Trotzdem passiert es - meine Mutter stirbt. Es durfte passieren und manchmal sogar habe ich es ihr gewünscht - weil sie es sich wünschte. Doch im Grunde sind das nur Worte, die man im Stillen denkt, ohne sich der wahren Bedeutung gewahr zu werden. Diese Endgültigkeit ist nicht wirklich vorstellbar. Ich spüre die entstandene Lücke wie eine Last – eine Leere, die doch so schwer wiegt.

Ich lebte immer mit der Sorge, zum entscheidenden Zeitpunkt nicht daheim sein zu können, da ich gut das halbe Jahr im Ausland verbringe. Doch so war es dann nicht. Ich war zu Hause und es passierte einfach –  mitten in diesem wunderschönen Sommer. Vielleicht, so tröste ich mich, hat Mama ja auf mich gewartet.

Heute, begebe ich mich wieder auf Reise. Doch es ist das erste Mal seit bestimmt zehn Jahren, dass ich mich nicht vorher frage, ob für Mama wohl alles mit meiner Schwester abgesprochen sei, ob für alle Eventualitäten vorgesorgt ist. Die Erleichterung, dies nicht mehr tun zu müssen, kommt nicht wirklich an – im Gegenteil, es schmerzt. Die drei Wochen zuvor waren so dicht gefüllt, mit notwendigen aber auch freudvollen Aktivitäten aufgrund des schönen Sommers eben, dass mir wenig Raum blieb, dieser neuen Situation einen Platz zu geben. Meine Befindlichkeit verfängt sich immer wieder in einem Gefühlsknäuel, ohne Anfang und Ende. Wenn mich die Traurigkeit über den Verlust erfasst, dann scheint sie mir zu entgleiten, bevor ich ihr einen Platz geben konnte. Und wenn ich fröhlich bin, dann drängt sich manchmal etwas Fremdes, etwas Graues in mein Bewusstsein und bringt wieder Unordnung in mein Herz.

Es hat mich in diesen letzten Tagen bei Mama so erstaunt, wie dick dieses Band zwischen uns doch ist. Eine gewisse Oberflächlichkeit in unserer Beziehung hat mich das ganz vergessen lassen. Eltern sind wohl so zur Selbstverständlichkeit geworden, einfach weil sie von Anbeginn an da waren. Da stellt man gewisse Fragen nicht mehr. Die Erkenntnis über diese doch so starke Herzensbindung macht den Verlust noch schmerzhafter, tröstet mich aber dennoch ungemein. Ich hoffe, Mama konnte es in diesen letzten Tagen und Stunden auch spüren. Sie hat sich in einem Moment von dieser Welt verabschiedet, da ich selbst geschlafen habe – im selben Zimmer, in einem Bett neben ihr. Ich habe meine Hand von der ihren genommen, habe den Blick von ihr gelassen und bin selbst eingeschlafen. Ich hoffe so sehr, sie wollte es genau zu diesem Zeitpunkt und hat sich nicht geängstigt. Wissen werde ich es nie. Davor noch habe ich ihr Lieder vorgespielt und ihr Dinge von mir erzählt, die sie früher vielleicht verstanden hätte, vielleicht auch gerne gehört hätte. In diesem Moment füllten sie nur die Zeit und die Pausen zwischen meinen Tränen. Ein Sterben in der Nacht eines wunderschönen Sommers.

 

In eben diesem Moment sitze ich im Zug, auf der ersten Etappe meiner neuen Reise. Drei Monate in ein mir noch fremdes Land, an der Seite meines Lebensmenschen. Er ist der Anker, der jetzt unweigerlich nochmal eine andere Bedeutung bekommen hat. Wenn hinter mir nun niemand mehr ist, wird der Mensch an meiner Seite noch wichtiger. Auch dieses Gefühl kann ich noch nicht recht einordnen, aber es ist zweifellos da. Nicht in jedem Moment, aber immer wieder nistet sich etwas mir bislang Unbekanntes in mein Bewusstsein ein. Ein Anker ist weggefallen, der andere muss halten. Ja, so ähnlich vielleicht…