Shatili 

 

 

Letzte Festung im Hohen Kaukasus

 

Christian checkt die Wetterlage für die nächsten Tage und wir treffen eine Entscheidung: Noch einmal geht es in den Hohen Kaukasus, tief hinein in eines der wohl entlegendsten Bergdörfer des Landes – nach Shatili. Wieder mal heißt es, die Straße über den Datvisjwari Pass sei die schwierigste in ganz Georgien. Nein, so sehen wir das nicht, aber anspruchsvoll ist sie auf jeden Fall. Die ca. 100 km unserer Tagesetappe führen die letzten 40 km über Schotter – die sind mehr als mühsam. Die Piste geht auf beinahe 2700 m hoch, um dann auf 1500 m nach Shatili wieder abzufallen. Es hat davor ziemlich geregnet und die Piste ist zum Teil weich, abgebrochen und sehr ausgewaschen. Viele kleine Erdrutsche werden gerade von den bereit stehenden Schubraupen und Baggern eingeebnet. Mit unserer 12 t Fuhre kann das also schon mal eine Herausforderung sein, die richtige Spur zu finden, und so sind wir froh, nach acht Stunden endlich oben zu sein. Nach uns ist die Straße übrigens vorübergehend gesperrt – ein riesiger Felsklotz hat sie blockiert. Thomas, mit seinem deutlich kleineren Fahrzeug ist gerade noch daran vorbei gekommen. Dann geht vorerst mal nichts mehr. Das Wetter ist immer noch sehr mäßig, ständig fängt es erneut zu regnen an. Die Fahrt entlang der tiefen Schlucht und dann über die vielen Serpentinen nach oben bietet beeindruckende Ausblicke. Die Straße wurde dem Erdreich Etage über Etage direkt abgerungen, übrig bleiben erdbraune Wände oder solche aus Stein. Oben drauf sitzt noch die Grasnarbe wie eine grüne Kappe, die an den Rändern ausgefranst ist. Ein skurriles Bild. Shatili selbst macht auf mich einen teils beengenden Eindruck. Das Tal lässt hier nicht viel Platz, sehr rasch steigen die Berghänge auf beiden Seiten steil nach oben. Vielleicht auch empfinde ich gerade heute so, da ich mich nicht ganz wohl fühle. Nichts Schlimmes, mein Bauch spielt nur nicht ganz mit und da passen dieses trübe Wetter, das Abhandensein von Farben in der Landschaft und diese Enge einfach dazu – ergeben ein etwas bedrückendes Bild.

Christian fährt alleine mit dem Motorrad nach Mutso ins nächste Dorf. Noch mehr Wehrtürme, noch abgelegener und mit unserem Auto definitiv nicht mehr erreichbar. Im Mittelalter hat dort die Pest gewütet – Knochen in den Gebeinhäusern zeugen noch davon. Dort haben sich angeblich infizierte Menschen freiwillig auf die bereits verstorbenen gelegt und auf ihr Ende gewartet, um den Rest der Gemeinde nicht auch noch anzustecken. Eine grausige Vorstellung. Mir reicht für heute schon die Erzählung.

In der Nacht hat es nochmal richtig stark geregnet und der Fluss neben uns ist sichtbar angeschwollen. Wir hatten das Gefühl, es sei noch nicht wirklich bedrohlich, aber das mächtige Rauschen war dann doch nicht ganz vertrauenseinflößend. So leuchtet Christian zweimal in der Nacht mit unserem Starkfluter nach draußen, um den Wasserstand zu checken – erst dann wird wieder weitergeschlafen.

Tags darauf ist das Wetter etwas besser, sogar die Sonne lässt sich ab und zu blicken. Nach wie vor hat es aber noch richtig starken Wind und die Temperaturen, nachts 5 Grad, bleiben auch tagsüber mäßig. Doch mir geht es besser und ich besichtige die Festungstürme. Fast ein bisschen weltentrückt scheinen die alten Gemäuer aus den Felsen heraus zu wachsen. Die Wände der dicht aneinander gedrängten Wehrtürme bilden einen Wall, uneinnehmbar, so scheint es. Die Eingangstüren in den Türmen sind knapp höher als einen Meter und alle verschlossen. Manche Bereiche werden heute jedoch touristisch als einfache Cafes genutzt. Das Dach des jeweils tiefer liegenden Turms dient dabei als Terrasse. Man versucht das alte Dorf und die Gegend als Ausgangspunkt für Wanderungen für Touristen attraktiv zu machen, und sie tun dies durchaus charmant. Es gibt einige wenige private Unterkünfte und ein Besucherzentrum, das Auskunft über alle Touren hier gibt. Die Gegend ist zweifelsohne beeindruckend, bizarr vor allem aufgrund dieser extremen Abgeschiedenheit. Immer wieder fragt man sich, was Menschen hierher verschlagen hat? Nämlich damals, als es noch keine Schubraupen und Bagger gab.

Wenn man sich in so ein Tal begibt, bekommen Wetterverhältnisse eine überdimensionale Bedeutung aber für den morgigen Tag schaut es gut aus - ein optimales Fenster scheint sich für eine sichere Rückfahrt auf zu tun. Wir können davon ausgehen, dass die Straße geräumt ist, aber dennoch, Steinschlag und schmieriger Boden bleiben beständige Gefahren. Im Nachhinein kann ich sagen, die Piste war nun besser hergerichtet, als bei der Hinfahrt, es gab wirklich keinerlei Probleme. Außer ….. dass es uns abschnittsweise von einem Schlagloch ins nächste beutelt und das ermüdet ungemein! Gottseidank gab es eine kurze „Verschnaufpause“ in dieser Hinsicht, da wir auf halber Höhe eine kleine gleich von der Straße weg auf den Bergrücken gemacht haben. Das Ziel ist ein fantastischer Ausblick auf die schneebedeckte Gebirgskette im Hintergrund!

Jetzt haben wir alle interessanten und befahrbaren Hochtäler des Hohen Kaukasus gesehen und einen guten Eindruck dieser grandiosen Landschaft bekommen. Das Wandern kam ein bisschen zu kurz, was wir beide dann immer am Ende des Aufenthalts und nach vielen km mit dem Motorrad feststellen. Wer weiß, vielleicht finden wir da ja nochmal einen aktiveren Zugang dazu. Jetzt aber folgt wieder mal ein ganz anderes Georgien – Tbilisi, wir kommen!