Chiang Mai

 

Wir wollen weiter in den Norden und wählen dazu diesmal den Nachtzug. Nur leider wurde aus dem vermeintlich gebuchten Schlafwagen mit 4er-Abteil ein ganz normaler Liegewagen. Heißt also, alle schlafen in zwei Etagen längswärts im Waggon. Die Vorstellung von Null Privatspähre, rundum schnarchenden Mitfahrenden und sonst noch so allerhand Unerfreulichem, erwies sich allerdings als vorschnell und auch unwahr. Ich schlief oben und musste mich kurz an die Neonbeleuchtung, die auch nachts z.T. an blieb, gewöhnen, aber wenn man den Vorhang dann vor seiner Liege zuzog, hatte es schon fast was Heimeliges. Und das gleichmäßige Rattern des Zuges wog mich sanft in den Schlaf….

 

Chiang Mai zählt bei Touristen zu einer der wohl beliebtesten Städte des Landes. Vor allem deshalb, da sie wie Bangkok alles bietet, nur eben ohne jener Hektik der Hauptstadt. Demzufolge gibt es natürlich auch eine Vielzahl von Unterkünften jeglicher Preisklasse und auch was die Gaumenfreuden betrifft, ist für Jeden was dabei. Wir wohnen sehr schön etwas außerhalb des Stadtkerns, jedoch nur ein paar Gehminuten vom Zentrum entfernt in einem noch alten Teakhaus. Diese so typischen Häuser der einst eigenständigen Lamma-Kultur verschwinden leider  mehr und mehr. So können Einnahmen aus dem Tourismus immer auch eine Möglichkeit sein, das Alte zu bewahren. Vielerorts muss es ohnedies weichen – es gibt zu viele Menschen und zu groß ist offensichtlich auch der Wunsch nach Neuem, und dann muss alles auch schneller und billiger werden – da bleibt zwangsläufig Vieles auf der Strecke.

 

Die Stadt blickt auf eine sehr intensive Geschichte zurück, und die mächtigen Herrscherdynastien wie auch die unterschiedlichen Besatzer haben ihre Spuren hinterlassen. Eine Vielzahl von Tempeln überall in der Stadt gibt Zeugnis davon ab. Einige davon wurden ganz prächtig renoviert und natürlich besichtigen wir sie abends und morgens und ein paar auch noch zwischendurch als „Mittagssnack“. Nein, nein, ich habe mich manchmal ausgeklinkt und Christian alleine arbeiten lassen. So konnte er aber einer Prozession im Tempel beiwohnen, die ich nicht live erlebt habe. Die Highlights abends zur blauen Stunde wollte jedoch auch ich mir nicht entgehen lassen. Dezentes Licht beleuchtet die goldenen Kuppeln der imposanten Anlage des Wat Phra Singh, Kerzen flackern an den Opferstellen, Mönche halten ihr Abendgebet im Tempel, Gläubige kommen und opfern, beten und umrunden den Chedi im Uhrzeigersinn. Es hat etwas sehr Beruhigendes, dem beiwohnen zu dürfen. Gebetsformeln, sich wiederholende Mantras, gibt es in jeder Religion und sie nehmen einen immer irgendwie gefangen. Ich sitze dann stumm in irgendeiner Ecke am Teppich des Tempels und lass mich mitnehmen. Ja, wohin eigentlich? Irgendwo hin an einen Ort zwischen geistiger Ruhe und dem Nichts. Letzteres gelingt natürlich nicht, aber die Gedankenflut, die vielleicht zuvor noch da war, wird zunehmend kleiner, und es wird für einige Minuten tatsächlich möglich, fast nichts zu denken, einfach nur dort zu sein. Immer aber sind es Momente der Ruhe, die einfach nur gut tun. Und wenn Christian dann seine „Arbeit getan hat“, setzt auch er sich zu mir und wir versuchen ein kleines Stück in diese Kultur einzutauchen. Und als dann auch noch der Vollmond über dem Kloster leuchtet ist die Stimmung vollkommen.

 

Eingetaucht sind wir natürlich auch kulinarisch und olfaktorisch. Letzteres ist ja nicht unbedingt eine Entscheidung des freien Willens, das kauft man sozusagen als Teil jeder Marktszenerie automatisch mit. Nicht immer ein Hochgenuss, aber da müssen unsere Nasen eben durch. Der Nachtmarkt ist einfach immer ein Erlebnis – ein bisschen zu voll, ein bisschen zu laut und hektisch, ein bisschen zu schrill, aber immer sehenswert.  Erstmals habe ich am Markt ein Netz voller fetter, lebendiger Kröten gesehen. Noch haben sie versucht ihre Schenkel nach allen Richtungen zu dehnen, springen war ja nicht mehr möglich. Bald jedoch werden eben jene Extremitäten am Grill landen und die wundersame Mutation zur  Delikatesse für die Thais antreten. Auch unfreiwillig, versteht sich. Na ja, ein Gang, den ich verbindlich auslassen würde. Da zieht es mich schon vorher zu Sticky Rice mit Mango, zur wohl köstlichsten Nachspeise in diesem Land. Wir lassen es uns also schon richtig gut gehen – was einem in Thailand auch sehr leicht gemacht wird. Wir reisen ja zum Teil mit lieben Freunden aus Deutschland und sind uns alle Vier darüber einig, dass es hier unglaublich entspannt und einfach zugeht. Wer es in Thailand nicht schafft, auf seine Kosten zu kommen, der macht irgendetwas falsch.

 

Wenn das Reisen zwischendurch anstrengend wird, dann muss man einfach Orte aufsuchen, die einen wieder ausruhen lassen. Einer jener Orte hier in Chiang Mai ist zweifelsohne der Terracotta-Garten. Ein privater Sammler hat all die Tonexponate gesammelt und liebevoll in einem Gartencafè arrangiert. Unsere Freunde haben uns erzählt, dass mittlerweile viel Garten dem Cafè weichen musste, aber es ist immer noch eine Oase geblieben. Veränderungen gibt es allerorts.

 

Ja, Skurriles hat dieses Land schon auch immer wieder zu bieten. Die Bereitschaft zum Spenden gehört im Buddhismus einfach dazu. An wirklich vielen Tempeln gibt es nicht nur Räucherstäbchen und Kerzen, die man gegen Bares erwerben kann, sondern auch Geschenkpakete, schön arrangiert und verpackt und natürlich …. am Ende noch mit Plastik umwickelt. Das hat auch den Vorteil, dass dieselben Pakete, nachdem der Gläubige sie erworben und in einem Ritual Buddha zu Füßen gelegt hat, wieder abgeholt und für den nächsten Gläubigen am Eingang fein säuberlich parat gestellt werden. So wird alles Teil eines endlosen Flusses – kaufen, opfern, wiederverwenden …. Aber ja, warum eigentlich nicht, es geht ja nicht um das Geschenk, sondern um die Geste. Vielleicht hab ich`s jetzt doch verstanden.

 

Ganz anders skurril finde ich die Gepflogenheit des Schuhe Ausziehens. Natürlich immer dann, bevor man einen Tempel betritt , auch immer bevor man das – auch eben selbst gemietete – Häuschen betritt, soweit ist ja alles klar und (selbst)verständlich. ( siehe auch „ Integration“…. ) Nur wenn ich dann vor der öffentlichen Toilette meine Schuhe abstellen muss und dafür in die eben erst zurückgestellten öffentlichen Plastiklatschen schlüpfen muss, dann zugegeben, irritiert es mich doch sehr! Beflissentlich sitzt natürlich auch jemand davor, der mir mit freundlichem Lächeln dieses Prozedere verdeutlicht. Es ist nun mal so, dass ich Größe 41 trage, so passe ich also nur in jene Latschen, die der vielleicht auch wirklich nette Herr vor mir auf dem Pissoir getragen hat. Schweißfuß hin oder her, aber wie stand es  mit der Treffsicherheit des guten Mannes? Vielleicht doch bei einem Tröpfchen daneben gezielt? Ich möchte es mir nicht näher vorstellen, gebe gerade ein bisschen die Zimperliese und versuche es mit Fassung zu tragen.

 

Doch ich bin ja letztlich dankbar dafür, dass ich auf Reisen immer wieder staunen darf. Und das in jeder Hinsicht – weil etwas so schön ist, weil Dinge so befremdlich sind, weil mich etwas traurig macht und etwas anderes zum Lachen bringt, und eben auch, weil manches so skurril ist. Genau das macht Reisen aus!