Gigantomanie Hong Kong

 

Deng Xiaoping zwang 1997 Großbritannien am Verhandlungstisch dazu, deren Kolonie wieder zur Gänze an China zurück zu geben. Angeblich hatte Prince Charles Tränen in den Augen. Sehr zur Freude seiner Bewohner durfte Hongkong sein englisches Rechtssystem beibehalten und sein kapitalistisches Leben weiter führen. Nur in außen- und verteidigungspolitischen Fragen behielt China die Oberhand. Hongkong entspricht seither einer Sonderverwaltungszone mit ganz speziellen Rechten. Wenngleich natürlich Festland-China seinen tatsächlichen Einfluss nie wirklich zurück stellte und somit ist der Ruf nach wahrer Demokratie nie ganz verstummt. Man will am freien Kapitalfluss verdienen, die Freiheit des Wortes aber bekämpfen – das ist wohl sehr kurzfristig gedacht.

 

Man sagt, Hongkong wäre der ideale Ort, um das Aufeinandertreffen westlicher und östlicher Kultur zu erleben. Sicher sind vier Tage auch zu kurz, sicher war mein Blick nicht umfassend. Aber mir erschien es nicht, als dass sich uns hier zwei Welten  offenbaren würden, viel eher scheint alles zu einer verschmolzen zu sein – zu einer Finanzwelt. Auch von der britischen Kolonialarchitektur ist nicht mehr viel übriggeblieben, wirklich nur ganz wenige Häuser. Der jüngere chinesische Baustil beeindruckt mehr aus bautechnischer Sicht, denn mit optischen Reizen. Wie überhaupt das sonst oft Liebliche, Verspielte, wirklich Schöne, das uns oft in Asien begegnet, hier eher fehlt. Es dominieren Protz und/oder Kitsch – vor allem groß muss es sein.

 

Auf der Suche nach Chinesischen Tempeln haben wir etwas gebraucht, um fündig zu werden. Am besten erkennt man sie am Rauch, der nach außen dringt, erklärt man uns. Es sind eher unscheinbare Räumlichkeiten, oft einfach in irgendeinem Haus,  mit alten Götterstatuen und Unmengen von Räucherwerk, das man ihnen spendet. Von der Decke hängen ganze Kegel von Räucherwerk, die Luft ist geschwängert von dem irgendwann nur noch beißenden Geruch. Die Tempelwächter, die eher gelangweilten Aufpasser, sind meist schon mit Mundschutz  ausgestattet, nur der opferfreudige Gläubige hält taper durch, bis sein Räucherwerk vollendet ist. Hongkong ist die einzige Stadt Chinas, in der Glaubensfreiheit gesetzlich verankert ist. Und die Hongkonger im Allgemeinen  sind auch nicht besonders fromm.

 

Eigentlich sind es ganz andere Tempel, die das Stadtbild prägen – Konsumtempel. Es gibt wohl keine Marke, die hier nicht zu finden wäre. Alle Luxuslabels sind vertreten,  die Shoppingmalls irgendwie noch größer als anderswo. Alles ist riesig, wächst gen Himmel – und der ist übrigens immer noch tief grau. Handel steht im Vordergrund. Und wenn es kein Laden ist, an dem man vorbeikommt, dann eben ein riesiges Bankengebäude. Auch die sind alle hier – von Credit Swiss über die Bank of China  bis zur Deutschen Bank. An jeder zweiten Ecke wächst ein Stahlgigant aus dem Boden, jede angesehene Bank versucht die Konkurrenz zu übertrumpfen – noch höher, noch protziger, noch größer. Die Frage darf hier schon erlaubt sein, ob diese Gigantomanie dem einfachen Kunden auch nur irgendwie dienlich sein kann. Diesbzgl. Zweifel sind wohl angebracht.  

 

Nicht nur einmal nehmen wir die altehrwürdige Star Ferry  über den Kanal zur Halbinsel Kowloon und blicken von dort auf die gigantische Skyline von Hongkong Island. Man kann ja auch mit der Metro unter dem Wasser durchfahren, aber oben drüber ist`s irgendwie schöner, ein bisschen Nostalgie inmitten der Moderne. Ab 20.00 Uhr lädt der Tourismusverband zur Sound- und Lightshow und unzählige Touristen warten gespannt an der Harbourfront auf das Spektakel. Schier, es kommt einfach nicht! Einer jener wenigen Momente, in denen einem vorkommt, Hongkong wäre das Geld ausgegangen. Eine akustisch mehr als mäßige Darbietung aus krächzenden Lautsprechern gibt sich mit ein paar wenigen Laserstrahlen ein Stelldichein. Kurzum, es ist für nix! Die beleuchteten Wolkenkratzer an sich sind allerdings den Aufwand ohne Zweifel wert. Nur bräuchte man dafür nicht so früh herkommen, um sich an der dicht gedrängten Promenade einen Platz in vorderster Reihe zu reservieren. Nun gut -  Touristennepp und wir sind mitten drin. Aber vielleicht ändert sich das auch wieder, derzeit gleicht die halbe Harbourfront einer Großbaustelle, Vieles ist im Umbruch, viel Neues kommt hinzu.

 

Der Blick auf die Skyline wäre natürlich auch von oben, vom Viktoria Peak ein echtes Highlight, aber wie schon erwähnt, wir haben unsere Pläne ohne den Wettergott gemacht. Und so begnügen wir uns also damit, an den Villen der Superreichen hoch über Hongkong vorbei zu fahren und blicken nach unten durch die Nebeldecke zu den anderen Giganten – zu jenen aus Stahl und Beton.

 

So haben wir nun also vier Tage Hongkong genießen dürfen, sind unsere Sohlen fast durchgelatscht, für mich hat sich wieder ein Fenster in einen neuen Kulturkreis geöffnet, und am Ende des Tages sind wir glücklich, den Heimflug antreten zu dürfen. Hongkong ist wohl eine jener Ecken, die man als reiseaffiner Mensch durchaus mal gesehen haben sollte. Dort zeigt sich ganz deutlich, wohin kapitalistische Systeme führen, was eine Handelsmetropole heutzutage so ausmacht. Hipp zu sein, bedeutet alles. Größer, stärker und besser zu sein, verschafft maßgebliche Vorteile. Nicht mithalten zu können, ist in diesem Umfeld nicht vorgesehen, hat dort keinen Platz. Ich bin froh, diese Seite der Welt mal gesehen zu haben, ans Herz wachsen wird sie mir nicht.