Das grüne Tal im hohen Atlas

 

Also, wir haben jene angeblich schönste Nord-Süd-Verbindung über den Hohen Atlas gut gemeistert und das Familiensilber heil drüber gebracht, wenngleich dies wirklich volle Konzentration erfordert hat (wie ja Christian vorhin schon geschildert hat). Die Strecke als solche ist aber wirklich schön, eine überaus beeindruckende Kulisse begleitet einen dabei. Die Straße windet sich Kurve um Kurve nach oben und wie am Spielfeld eines Hütchenspiels ragen die bunten Felskegel aus der Landschaft, ganz in den Farben des Gesteins – ocker, rot und grün. An manchen Stellen ist das Gestein in eben diesen Farben geschichtet wie die Schuppen einer riesigen Echse, die aus der Erdkruste emporgekrochen kommt. Der Wind ist ungebrochen stark – was auch, da leider entgegen unserer Fahrtrichtung, den Dieselverbrauch beträchtlich steigen lässt – und formt bereits seit Jahrtausenden die Landschaft. Kleine gelbe Blümchen versuchen dem Wind zu trotzen und halten sich tapfer an den sonst kargen Felswänden fest. Die Spitzen der Atlasketten leuchten schneeverhangen herunter und demonstrieren so ihre Mächtigkeit. Die Dörfer kleben wie Adlerhorste an den Felswänden und darunter leuchtet das Grün der terrassierten Getreidefelder. Tief unten verläuft der Fluss und gibt üppiges Leben preis. Welch spannende Gegensätze.

 

Irgendwann verlassen wir die schroffe Berglandschaft und freuen uns auf die Fahrt durchs  Valleè de l`Ait Bougoumez – durch das Tal der Glücklichen, wie man es nennt. Die Hoffnung, dass es hier wärmer wird, bestätigt sich nicht ganz, schließlich befinden wir uns bald wieder auf ca. 1800m Seehöhe. Die Straße bis Tabant ist entgegen der Schotterpiste von vor zwei Jahren bereits geteert. So schlängeln wir uns also entlang eines schmalen Asphaltbandes mit mal mehr oder weniger ausgeschwemmten  seitlichen Abbrüchen durch das Tal. Richtig eng wird es nur durch die Dörfer – da heißt es für Styros wieder mal „Bauch einziehen“, sprich Spiegel einklappen, Luft anhalten und durch. Bis jetzt gab es keine „Grundberührung“!

 

Diesen Abschnitt kennen wir ja schon, aber eben nicht zu dieser Jahreszeit. Und wahrlich, die Natur hat gewaltig Fahrt aufgenommen, alles sprießt nur so und mutet trotz der Höhe lieblich an. Das Rot der Erde ist hier irgendwie noch röter, noch kräftiger, was den fantastischen Kontrast zum Grün der Felder potenziert. Und dann noch, als optisches Sahnehäubchen, die weißen Türme der Moscheen! Fast unbeschreiblich schön – man muss es gesehen haben.

 

So ist es auch kein Wunder, dass die Region touristisch erschlossen ist, was bekanntlich das Verhalten der Kinder leider selten zum Vorteil verändert. Kaum passieren wir ein Dorf, stürmen sie gleich in Scharen heran und rufen lauthals jene drei magischen Worte, die sie ausnahmslos alle in Französisch kennen, auch wenn sie sonst nur Berberdialekte sprechen: Stylo, Bonbon und Money (da werden sie sogar mehrsprachig). Ja, das ist schade, und die Erwachsenen stehen untätig daneben. Ganz bestimmt gibt es aber genug Touristen, die genau jenes Ansinnen befriedigen und die Kinder verständlicher Weise auf „fette Beute“ zählen lassen. Wenn die kleinen Biester, denen oft einfach unglaublich fad ist, dann aber Steine werfen, weil sie nicht erfolgreich waren, dann spätestens hört sich der Spaß auf! Also in diesem Sinne ist leider Wachsamkeit geboten ohne aber natürlich alle gleich vorschnell zu verurteilen.

 

Auch wir müssen mal eine Pause einlegen und sitzen bei einem kleinen Imbiss neben unseren Autos. Und da sind sie wieder…. die süßen Kleinen, wahrscheinlich dankbar für eine Abwechslung aber auch gierig nach einfach „irgendetwas“, was doch bitte herausschauen könnte, wenn man einfach nur lange genug daneben steht. Sie warten nicht auf Essen per se, sie sind nicht hungrig, sie möchten einfach irgendwas, am liebsten aber Money. So dauert es nicht lange und wir vier fühlen uns wie im Zoo. Und gäbe es einen Zaun um uns, sie würden ganz dicht an den Maschen hängen, so nahe stehen sie bei uns, sprechen diesmal nichts, „betrachten“ uns einfach und tuscheln untereinander, als wenn sie an einem ausgeklügelten Plan tüfteln würden, wie sie die Tiere aus dem Gehege locken könnten, um endlich an die Beute im Inneren zu kommen. Ziemlich skurril und genüßliches Essen fällt da dann doch etwas schwer.  Etwas später, an unserem Übernachtungsplatz, ein ähnliches Bild. Leider ist das Wetter mittlerweile schauderhaft kalt geworden und zwingt uns in die Autos. Wir stehen aus Ermangelung anderer Möglichkeiten auf einem wirklich scheußlichen Baustellenplatz im Matsch etwas abseits der Straße und es dauert nicht lange, sind wir abermals von einer Schar Kinder umringt. Sie wandern von einem Auto zum anderen, steigen auf hohe Steinemugel, um größer zu sein, hüpfen in die Höhe, versuchen einen Blick hinein zu erhaschen und warten wieder auf „irgendetwas“. Es wird kälter und grausiger, es regnet, mit dem beginnenden Abend wird daraus sogar  Schneeregen, und die Kleinen geben immer noch nicht auf, einer steht sogar ohne Schuhe da draußen. Das erschüttert gleichermaßen, wie es auch verwundert, zumal das elterliche Haus keine 300 Meter entfernt steht und die Mutter von Susanne Farbstifte für die Kinder bekommen hat. Eigentlich erscheint uns die Gegend insgesamt nicht sooo arm, als dass Kinder bei diesem Sauwetter ohne Schuhe gehen müssten. Das sind dann jene Momente, in denen man das Land und seine Menschen schwer verstehen kann. Ein marokkanisches Sprichwort zum Thema Beharrlichkeit wird jedoch auf einmal beispielhaft verständlich:  „Stück für Stück passt auch ein Dromedar in den Kochtopf“… wenn man nur einfach lange genug wartet! Ja, auch das ist Marokko – und wir sind einfach nur Gäste, die das Land in all seinen Facetten akzeptieren müssen, zumal wir ja aus freien Stücken zum wiederholten Mal hierher gereist sind.

 

Wir besuchen dann wieder jene Schule am Ende des Tales, die von der Grazer Organisation „Weltweitwandern“ mit unterstützt wird und lassen dort einiges zurück, das wir mitgebracht haben. Das ist der eigentliche Fazit all dieser Bettelerfahrungen, die wir gemacht haben: es ist wohl besser, nicht den Kindern sondern eher den Erwachsenen etwas zu geben, damit sie es dann bestmöglichst verteilen mögen. Vielleicht ist es so richtig, man weiß es nie genau….