Schnee am schwarzen Kontinent

 

Marrakesch wollte uns irgendwie gar nicht so recht loslassen, obwohl es nur ein ungeplanter kurzer Abstecher war. Dieses städtische Flair vor dem traumhaft schönen Hintergrund der verschneiten Atlaskette nimmt einen unweigerlich gefangen. Kein Wunder, dass es viele gut betuchte Europäer hierher gezogen hat, um sich ein Domizil für die Seele zu schaffen. Die Stadt hat was – ohne Zweifel. Doch wir verlassen sie gen Süden, dem Hohen Atlas entgegen.

 

In Marokko gilt es immer nachzufragen, ob eine Straße frei und befahrbar ist, was wir auch machen. Schließlich wissen wir nicht genau, welche Schäden der Winter eventuell hinterlassen hat.  Hier sind die Straßen wahrlich nicht für die Ewigkeit gebaut und manchmal nennt sich schon ein schmales ausgefranstes Asphaltband Straße. Aber ich nehme all unsere Vorbehalte zurück, die Straße über den Tizi-n-Test Pass ist respektabel ausgebaut und auch schneefrei. Bevor es über den Pass geht, machen wir aber einen Abstecher in ein Seitental Richtung Djebel Toubkal, zum höchsten Berg Marokkos (4167m). Das Verkehrsaufkommen ist völlig zu vernachlässigen und wir teilen uns die Straße hauptsächlich mit Ziegenhirten und ihren Herden. Im Hochsommer sollte die Gegend stärker frequentiert sein, wenn es den reichen Marrakeschis in ihrer Stadt zu heiß wird und sie hier oben Abkühlung suchen. Davon zeugen auch einige Cafes und Unterbringungen – aber alles noch sehr zurückhaltend. Im Hauptort Imlil, am Ende der ausgebauten Straße, zeugen einige Shops mit antiquiertem Trekking- und Schitourenequippement davon, dass es vereinzelte Exoten zu solchen Unternehmungen hier herauf zieht, um die Gipfel der Region zu erkunden. Wir hören von den guides, dass immer wieder auch größere Gruppen aus Europa ihre Touren hier bestreiten. So liest man es auch im Internet, vor Ort zeigt sich alles sehr verschlafen. Wir fahren noch weiter in den höchsten befahrbaren Ort Marokkos, nach Tachidirt. Und dort scheint dann wirklich alles zu Ende, nur mehr mulitaugliche Wege führen zu den abgelegenen Dörfern in den Schluchten dieser Bergregion. Unser Standplatz liegt quasi vor den Toren dieses letzten Dorfes mit herrlichem Blick auf die Bergwelt. Unseren ursprünglichen Plan, hier ebenfalls eine kleine Schitour zu bestreiten, verwerfen wir allerdings. Tja, der ehrliche Grund dafür? Schitouren zu Hause wären schöner und dort liegt derzeit auch mehr Schnee. So ist das auf Reisen – man weiß es vorher nie genau. Aber für einen Spaziergang und für das Ambiente aus unserem Styros raus lohnt sich der Ausflug hier in den Atlas auf jeden Fall. Der Weg ist ja das Ziel und der ist rauf wie auch runter schon ziemlich beeindruckend. Die Gebirgsketten des Hohen Atlas schieben sich praktisch vor der Sahara nach oben und drängen die Steppe gewissermaßen nach Süden. Somit sind die Nordhänge noch eher bedeckt,  die Südhänge hingegen nackt und schroff. Manchmal komme ich nicht umhin, diese Berge als „Schutthaufen“ zu bezeichnen, so „zerschlissen“ wirken sie, so zerbröselt sind sie zum Teil. Aber das ist einfach das Resultat häufiger Frostwechsel, die dem Jurakalkgestein kräftig zugesetzt haben. Übrig bleiben Schichten in Rot, Braun und Grau, ein Farbenspiel, das an einen Marmorkuchen erinnert, der den Schokoladenteil ausfließen hat lassen. Nun gut, vielleicht spielen mir da auch meine Heimatgefühle grad einen Streich.

 

Ansonsten ist die Landschaft hier im Hohen Atlas natürlich sehr karg, nur in den tief eingeschnittenen Tälern, die das Wasser in die Berge geschält hat, gedeiht noch fruchtbare Erde. Und sobald die Natur dies irgendwo zugelassen hat, scheinen auch Menschen sich dieser Flecken habhaft geworden zu sein. Wir wundern uns immer wieder, warum es Menschen in so schwierige unwirtliche Ecken dieses Landes gezogen hat, um dort ihre Dörfer zu errichten, wo es doch in den Ebenen viel leichter erscheint. Man erzählt uns dazu, das Land hier oben sei einfach billiger und die Winter nicht mehr so hart, als dass man auch das Vieh ganzjährig hier oben lassen könne.

 

Trotzdem möchten wir in den richtigen Wintermonaten nicht hier oben sein. Schon heute, am zweiten Tag, zieht es uns eigentlich wieder nach unten – Wolken ziehen auf und man hat Regen und für hier oben Schnee vorausgesagt. Es hat die ganze Nacht so unglaublich gestürmt, dass ich schon Bedenken hatte, es könnte unseren Dicken umhauen. Sei natürlich Blödsinn, meint Christian, aber wie gesagt, man weiß es nie ganz genau, oder? Und angefühlt hat es sich so, als die 12 Tonnen zu wackeln begonnen haben.

 

Na jedenfalls beschließen wir an diesem nächsten Tag wieder runter in die Weite der Arganienfelder zu fahren – und diese Entscheidung war sehr klug. Da sitzen wir jetzt nämlich, sind quasi gestrandet: Mittlerweile ist das Wasser der vergangenen Nacht hier im Tal angekommen. Alle Oueds haben sich gefüllt, die Straßengräben, falls vorhanden, sind bis zum Stehkragen voll und an vielen Stellen treten die Wassermassen über die Ufer. Nichts geht mehr, an ein Weiterkommen ist nicht zu denken, bereits zwei Kilometer aus der Stadt raus winken uns Polizisten freundlich zu und Straßensperren zwingen uns zum Umkehren. Das Wetter ist zudem scheußlich, der Wind bläst immer noch orkanartig und es regnet in Schüben, dann aber heftigst. All das hat zur Folge, dass auch die meisten Straßen im Ort in kürzester Zeit unter Wasser stehen, sich zuvor gar nicht augenscheinliche Löcher mit schlammigen Wasser gefüllt haben und auch wirklich nichts zu einem Spaziergang oder Ortsbummel einlädt. Das ist der Moment, wo wir unseren Styros wirklich lieben – er schafft eine Barriere zur Düsternis draußen und beschert uns ein gemütliches Warten auf bessere Zeiten. Unser Plan, weiter im Westen nach Süden zu fahren, hat sich somit in den Wassermassen aufgelöst und wir planen um. Und siehe da, das Wetter meint es gut mit uns, das Wasser versickert langsam bis zum Nachmittag und die Straßen werden wieder frei. Es geht weiter – in die diametral andere Richtung, nach Osten, mit dem Ziel Wüste. Ja, so ist das hier – man weiß es vorher nie so ganz genau…..