In einer

fremden Welt

 

Wir nehmen die C43 von Opuwo nach Norden, wieder eine gut geschobene Piste, die durchaus Geschwindigkeit erlaubt. Das heißt also, Staubklappe öffnen und Gas geben. Die Landschaft ist abwechslungsreich und die Streckenführung gleicht einem Rollercoaster – immer rauf und runter. Vorbei an den Schwarzen Bergen, dann an den Zebrabergen, wird es gegen Norden zuerst deutlich grüner und dann auch wieder sehr trocken. Letztlich zieht sich die Strecke aber in die Länge und wir sind froh, im Epupa-Camp direkt am Kunene anzukommen.

Der Kunene gehört zu den fünf Flüssen Namibias, die ständig Wasser führen. So heißt Epupa in der Sprache der Herero auch „Fallendes Wasser“. Der Grenzfluss zwischen Angola und Namibia stürzt sich bei den Epupa-Wasserfällen in eine 40 Meter tiefe Schlucht und bietet uns für zwei Tage ein ansprechendes Erholungsgebiet. Auf der Campsite sind wir die Einzigen – kein Wunder, dass uns der freche Langschwanz-Kapuziner-Affe (oder was er auch war??) aus lauter Langeweile eifrig mit Baumfrüchten bewarf! Allerdings sind diese Zitronengroßen Früchte so hart und auch schwer, dass wir tunlichst darauf geachtet haben, sie nicht auf den Kopf zu bekommen!

Wenn man den Kunene entlang nach Osten fährt, erkennt man immer wieder die Gewalt des Wassers, wodurch sich ganze Uferabschnitte als verwüstet darstellen und Schwemmholz meterhoch aufgetürmt ist. Es gibt einige Camps hier entlang der Strecke, die jedoch zum Zeitpunkt alle verwaist sind. Touristen haben Seltenheitswert, und viele Lodgebesitzer mussten ihre Angestellten entlassen. Die Kollateralschäden dieser Pandemie sind gerade hier in ärmeren Regionen der Welt noch viel deutlicher sichtbar. Es geht um fehlendes Grundeinkommen und Existenzerhalt. Es ist ganz unmöglich, sich der Tatsache hier zu entziehen, dass wir es neben all den Unannehmlichkeiten immer noch – wie ohnedies immer – sehr gut erwischt haben. Wir können es per se nicht ändern, aber hier wird es z.T. bedrückend spürbar.

 

Am nächsten Tag machen wir das, was wohl die meisten Touristen hier machen – wir besuchen ein traditionelles Himbadorf. Unser Guide John begleitet uns dorthin und erklärt alles ganz genau. Wir denken, es ist gut so – auf diese Art – das Dorf  bekommt Lebensmittel (Art und Menge sind vorgegeben) und wir, die Besucher, dürfen uns das an-„schauen“. So hat jeder was davon, und trotzdem bleibt die Situation irgendwie befremdlich für mich. Einen Tag vor unserem Besuch, haben zwei der Frauen ein Kind zur Welt gebracht. Beide liegen sie in ihren einfachen Lehmhütten auf einer Decke am Boden, neben ihnen das Neugeborene. Wir sollen doch ruhig reinschauen, deuten sie. Aber irgendwie ist mir das bald zu intim. Ich bedanke mich und wünsche ihnen das Allerbeste. So viele Fragen tun sich für mich auf. Wie kann man so einfach leben? Oder noch viel eher, was macht man den ganzen Tag? John erklärt, dass die Männer mit den Rindern (oder Ziegen) fort sind, oft ein ganzes Monat. Im Dorf bleiben nur Frauen und Kinder und vielleicht einer der Männer zurück. Wenn es das Klima zulässt, dann bauen die Himba auch etwas Mais und Gemüse an. Ansonsten haben sie nur ihre Ziegen. Keine Bücher, keine Schrift, keine Zeit ( - Rechnung ) Die Regierung möchte, dass zumindest immer die Hälfte der Kinder zur Schule gehen, was die Familien nur z.T. zulassen. Denn danach gibt es kein Zurückkommen mehr in die Dorfgemeinschaft. Nach der Schule möchte das wohl  keines der Kinder mehr und so würde diese Kultur aussterben. So viele offene Fragen. Traditionen zu erhalten im Zentrum einer sich so rasch entwickelnden Welt ist sicher ein unglaublich schwieriges Unterfangen. Und es ist vielleicht nicht mal eine Frage von richtig oder falsch, denn auch diese Frage setzt ja bereits unsere westliche Denkweise voraus, unter deren Vorgabe man ja die Frage gar nicht erst stellen dürfte. Aber ein Zurück an den Anfang gibt es halt nicht mehr – wir sind alle schon mittendrin.