Unberührte Natur am Skadar See

Auf der Fahrt von Kotor hierher wählten wir nicht den neuen Tunnel durch das Gebirgsmassiv hindurch, sondern die kurvenreiche alte Straße oben drüber. War allerdings weder für Styros noch für Christian ein Problem. Und hätte ich nicht am Ende einen klitzekleinen Navigationsfehler begangen, ….dann hätten wir unsere Seerunde vielleicht noch entspannter beginnen können. Ich konnte ja auch nicht wissen, dass die nächste Umkehrmöglichkeit für unsere Fuhre erst in 15 km kommt. So ein Mist auch, dass die blöden Straßenkarten auch immer so ungenau sein müssen!

Am Eingang der Seerunde stand ein Schild mit „5t“. Nun wissen wir, dass Styros ein bisschen schwerer ist, aber gleich drei Einheimische meinten, dass dies überhaupt kein Problem sei, wir sollten nur fahren. Nun gut, wir wollen ja auch ein bisschen Abenteuer und unser Fahrzeug testen. Die Straße war zwar OK aber wirklich verdammt schmal. Und gleich nach 2 km verpassten wir einen Abzweig (unser beider Schuld!) und landen in einer Sackgasse. Verdammt eng, gar nicht lustig und keine Möglichkeit zur Umkehr weit und breit. Wir gingen zu Fuß ein Stück weiter, suchten nach Platz, und sahen uns schon ein Riesenstück verkehrt zurückfahren – noch weniger lustig! Dann irgendwann entschied Christian es doch bei einer der Ausweichen zu versuchen. Wir standen quer, vorne am Hang,  hinten mit der Motorradhebebühne schon über der Böschung, aber es ging sich knapp aus und weiter ging`s. Der weitere Streckenverlauf bot wirklich wunderschöne Ausblicke auf den See und wir erreichten den Abzweig zu jenem kleinen Dorf, das auf halber Strecke unser Ziel werden sollte. Doch Murici liegt ca 250 m tiefer als die Straße und da mussten wir erst mal runter ans Ufer kommen. Also wieder die Enduro runter, Christian fuhr die Strecke ab und meinte „es geht, aber verdammt eng“. Und nachdem wir schon recht müde vom Tag waren, entschieden wir vorerst mal oben an der Kante zu bleiben, auch der Blick nach unten gibt ganz viel her. Der Blick aus unserem Schlafzimmerfenster abends wie auch am nächsten Morgen ist einfach fantastisch. Der nächste Tag begrüßt uns mit viel Sonne und wir wissen, dass es heiß werden wird. Also doch nach unten an den See. An den engen Haarnadelkurven heißt es reversieren, die Wasserleitungen zwischen den Häusern am Straßenrand müssen wir kurzerhand hochziehen, damit wir unten durch kommen und so manches Geäst muss den Flanken von Styros weichen.

Abseits der Küste ist Montenegro noch ganz bei sich, hier merkt man nichts mehr von den quirligen Küstenortschaften. Die Gebirgszüge von Lovcen und Orijen bilden einen Sperrwall zwischen Adria und Hinterland, und so liegt dahinter fast völlig verlassen ein echtes Naturjuwel – der Skadar-See. Als weißer Flecken auf der touristischen Landkarte erstreckt sich dieser größte Binnensee des Balkans inmitten einer fruchtbaren Tiefebene, in der Ferne die hohen noch schneebedeckten Gipfel der Berge sichtbar. Man stelle sich einen See so groß wie den Bodensee vor, Trinkwasserqualität,  kein einziges Boot darauf, kein Surfer, keine Badegäste und kaum direkte Zugänge zum  See. Ein paar verschlafene Dörfer an den Hängen, kleine Inseln inmitten der riesigen Wasserfläche und kaum Menschen, die ihn bevölkern. Zuerst nur als kurzer Abstecher gedacht, hat uns letztlich diese Schönheit doch so in ihren Bann gezogen, als dass wir beschließen, gleich drei Tage hier bleiben. Natürlich zwingt dies auch zu Kompromissen und zuweilen zu Bescheidenheit. Restaurants wird man hier kaum finden und die Infrastruktur entspricht dem Stand der 60er Jahre. Doch daran stören wir uns nicht, wir haben alles dabei und die Natur, eben gerade in zartem Frühlingserwachen, überzeugt uns völlig. Eine so unberührte Landschaft, in der sich jede Pflanze jenen Platz genommen hat, die sie benötigt, nichts kultiviert wurde, wo Sumpflandschaft noch sumpfig bleiben durfte, wo es noch wilde Blumenwiesen gibt, das alles ist schon was echt Besonderes.Die wenigen kleinen Dörfer an den steil abfallenden Hängen hin zum Seeufer erscheinen menschenleer. Ein sicher großes Problem hier ist das Abhandensein jeglicher Jobmöglichkeiten. Daher, so erfahren wir, sind viele nach New York ausgewandert (ja auch wir wundern uns ein bisschen darüber), schicken von dort ihren Verwandten Geld und kommen nur hin und wieder in die Heimat zurück. Die, die hier geblieben sind, leben ein sehr beschauliches Leben. Sicher nicht ganz zufrieden damit – immer wieder mal wird der Ruf nach der guten alten Tito-Zeit laut.

Wir genießen aber auf jeden Fall diese kleine Pause hier und testen fleißig weiter. Heute wird im Ofen gegrillt, die Markise wurde eingezogen, Wasser aus dem See nachgetankt und Christian testet jegliches Werkzeug auf seine Brauchbarkeit und notiert sich ständig irgendwas in sein „Büchlein“. Dazwischen rückt er mit Handsäge aus, um den Weg zurück hinauf auf die Straße für uns ein klein wenig zu „verbreitern“. Die Montenegriner sehen`s  gelassen, freuen sich über jeden Touristen, der hier vorbei kommt. Doch noch sind es wenige, und wir sind die meiste Zeit alleine!