Durchs wilde

Kurdistan

Heute geht es rund 300 km quer über das anatolische Hochland. Das Wetter ist schlecht, die Sicht ebenfalls und ohne jegliche Kontraste, ja etwas anstrengend. So schön könnte es hier sein, die karstigen Hochebenen, und später, als wir ins Euphrattal hinab fahren, die herrlichen fruchtbaren Getreidefelder. Aber leider, diesmal nicht – alles verschwimmt in milchigem Einheitsbrei. Über unzählige Kurven erreichen wir schließlich das abgelegene kleine Dorf Kemaliye, inmitten faszinierender Bergwelt, die uns fast ein bisschen an Nepal erinnert. Wir steuern direkt auf den Marktplatz zu und gleich winkt man uns zu, lädt uns wieder zu Tee ein und begrüßt uns sehr herzlich. Als Parkplatz für die Nacht weist man uns dann schließlich einen Platz eine Ebene höher im Ort zu und Styros zwängt sich durch die engen Gassen und parkt dann formatfüllend …. direkt vor der Moschee. Oh ja, spätestens um 05.00 Uhr morgens wissen wir das ganz genau J. Aber der Ausgangspunkt ist perfekt, um das Leben im Dorf zu genießen und v.a. die atemberaubende Strecke Tas Yolu mit dem Motorrad zu erkunden. Der Bau der Strecke begann 1870 und wurde erst 2002 fertig gestellt. Hoch über dem Euphrat windet sich die Piste durch 38 Tunnels den Fels entlang. Sie wurde mehr oder weniger von den Einheimischen über mehrere Generationen lang selbst angelegt, um Dörfer zu verbinden und einen Ausgang aus dem Tal zu haben. Die Regierung hatte den Bau aus Kostengründen abgelehnt. Heute gibt es eine alternative Strecke. Es ist wirklich ein grandioses Erlebnis, diese Strecke zu fahren. Mit einem kleinen Auto wäre sie auch möglich, mit unserem Dicken säßen wir bereits im ersten Tunnel fest! Na dann lieber per Zweirad! Und danach wieder mal auf einen Tee ins Dorf. Dort kennt man uns schon und winkt uns freundlich zu. Wir bleiben drei Nächte und genießen Ruhe, Szenerie und Abwechslung. All das tut uns gut – lässt auch mich zur Ruhe kommen.

Wir bleiben in dieser touristisch abgelegenen Region Anatoliens und erreichen die Provinz Tunceli, eine Oase in abgeschiedener Bergwelt. Nicht grün und fruchtbar inmitten von Kargheit, nein, sondern einfach so anders als der Rest rund herum. Hier leben vorwiegend Aleviten - Muslime, die keine Moscheen, kein Fasten im Ramadan, keine Kopftücher und kein Alkoholverbot kennen. All das ist manchen streng gläubigen Muslimen ein Dorn im Auge. Und so hat die Region leider auch schon traurige Zeiten hinter sich. 1937/38 gab es schreckliche blutige Massaker und auch in den 1990er wurden noch 200 Dörfer in der Region entvölkert. Attraktion der Region ist das Munzur-Tal. Wir durchfahren es von Westen kommend, von Ovacik bis Tunceli.

Die Fahrt hierher verläuft wieder zuerst über eine trockene Hochebene und dann weiter über eine hügelige „Almlandschaft“, selbstverständlich auf hervorragender Straße. Bald schon lassen sich die hohen Berge ausmachen und spätestens in Ovacik, an unserem Standplatz für die nächste Nacht, sind wir von mehreren Dreitausendern, deren schneebedeckten Gipfel in der Sonne leuchten, umrahmt. Der Munzur fließt mit hoher Geschwindigkeit direkt an uns vorbei und das Rauschen übertönt alles – wobei es sonst ja gar nichts gibt, was man übertönen könnte - Natur pur. Wir fahren einen kleinen Abhang direkt zum Fluss und bemerken rasch, dass wir in dem weichen Boden gut 30 cm tiefe Spuren hinterlassen! Gar nicht gut – v.a. wenn vielleicht noch mehr Regen kommen sollte. Christian bleibt augenblicklich stehen, auf keinen Fall weiter Gas geben, Allrad und alle Sperren rein und ganz sanft dieselbe Spur wieder zurück hinaus. Besser wieder zurück auf den befestigten Weg J!

Mit dem Motorrad geht es zu den Munzur-Quellen, 15 km westlich von Ovacik. Es sprudelt und gluckert aus unzähligen Löchern im Fels, kleine Wasserkaskaden vereinigen sich zu einem wilden Strom, der im weiteren Verlauf die Munzurschlucht ausgefressen hat. Dem Wasser der Quellen sagt man heilende Wirkung nach, weshalb in den heißen Sommermonaten viele türkische Touristen hierher finden. Heute sind wir die einzigen.

Am späteren Nachmittag durch Ovacik zu spazieren ist wieder eine sehr angenehme Erfahrung. Man lädt uns zum Tee ein, lässt uns vom gerade bestellten Essen in einer kleinen Bäckerei kosten, spricht uns an, freut sich über die Möglichkeit, über Google Translater zu kommunizieren, begegnet uns einfach auf der ganzen Linie ausgesprochen freundlich. Da es nach noch mehr Regen für den nächsten Tag aussieht und wir um Styros` Schwäche, oder eben Stärke, auf weichem Untergrund Bescheid wissen, beschließen wir, den Standplatz zu wechseln – auf festem Schotteruntergrund, ebenfalls schön am Fluss gelegen. Und unsere WetterApp hat recht behalten – der nächste Tag wird ein Bürotag, denn es regnet.

 

Der nächste Morgen bringt wieder etwas mehr Sonne und so schlängelt sich Styros noch durch das wild romantische Munzur-Tal, entlang des reißenden Flusses, vorbei an großer Wasserbecken, durch üppig wilde Natur, immer am Fuße spektakulärer schneebedeckter Berggipfel. Ein herrliches Erlebnis.